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@BBlätter Deutschland unregierbar, von Thüringen bis Berlin? von Albrecht von Lucke

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06.10.2024 21:29

Themen: Rechtsradikalismus, Demokratie, Ostdeutschland
Aus: »Blätter« 10/2024, S. 5-8
Blättern in der Ausgabe Oktober 2024

https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/okt...tqME0Zv2W3ny-fg




Bild: Wahlplakate zur Landtagswahl in Brandenburg, 9.9.2024 (IMAGO / imagebroker / Arnulf Hettrich)


Der Osten hat gewählt, jedenfalls ein erheblicher Teil, und eines vor allem haben die drei so unterschiedlichen Landtagswahlergebnisse gemeinsam: Weder in Sachsen noch in Thüringen oder Brandenburg ist zukünftig eine Mehrheitsregierung ohne Beteiligung von AfD oder BSW möglich. Von den drei Wahlen geht deshalb ein über den Osten hinausreichendes Signal aus: Das Regieren in Deutschland wird immer schwieriger, wenn nicht gar in der alten Form unmöglich.

Die Wahl in Brandenburg demonstrierte immerhin, dass mit maximalem Einsatz – in diesem Fall des Ministerpräsidenten – auch gegen eine vermeintlich uneinholbar enteilte AfD ein Erfolg machbar ist. Allerdings war Dietmar Woidkes hauchdünner Sieg nur möglich durch ein an Erpressung grenzendes Ultimatum: Entweder Ihr macht mich zur Nummer eins oder ich bin weg! Derartiges Agieren ist nicht beliebig wiederholbar und außerdem in einer auf Parteien, Programme und nicht Personen ausgerichteten Demokratie durchaus problematisch. Zudem ist das starke Abschneiden von Woidke den „Mitnahmeeffekten“ im Spektrum der klassischen Mitte-Parteien zu verdanken, was auch zum Ausscheiden der Grünen und damit zum Ende der Kenia-Koalition führte. Woidke hat so zwar seinen ersten Platz gerettet, aber als Kollateralschaden die eigene Koalition geschreddert. Ein klassischer Pyrrhussieg mit dem fatalen Ergebnis, dass nun in Brandenburg die neue populistische Phalanx aus AfD und BSW prozentual stärker ist als die einstige große Koalition aus SPD und CDU.

Insgesamt bedeuten alle drei Ost-Wahlen somit vor allem einen weiteren massiven Rechtsruck, mit einer AfD bei teils deutlich über 30 Prozent. Immerhin konnte sich sowohl in Brandenburg, mit Woidkes SPD, aber auch in Sachsen, mit Michael Kretschmers CDU, noch eine starke Partei vor der AfD behaupten. Ganz fatal ist die Lage dagegen in Thüringen: Erstmalig ist dort eine vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte Partei stärkste Kraft, mit fast zehn Prozentpunkten Vorsprung vor der zweitplatzierten CDU und – wie auch in Brandenburg – mit einer Sperrminorität von über einem Drittel der Sitze, was der AfD erhebliche Rechte etwa bei der Ernennung von Verfassungsrichtern beschert.[1] Rechnet man die zweite populistische Partei hinzu, verfügen AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen zusammen über 47 der 88 Landtagssitze. Selbst bei einer Koalition mit SPD und BSW käme der dortige CDU-Chef Mario Voigt nur auf 44 Sitze, es bedürfte also der Duldung durch die Linkspartei, mit der zu koalieren die Union weiter ausschließt.

Mit diesen hoch komplizierten Mehrheitsverhältnissen könnte der Osten zur Avantgarde der gesamten Republik werden – zumal angesichts einer Ampelregierung, die nach Ansicht der im Osten nun völlig marginalisierten FDP bereits „ohne Legitimation“ (Wolfgang Kubicki) ist und von Lindner und Co. auf ihr vorzeitiges Ende zugetrieben wird. Wir erleben damit die beschleunigte Erosion des althergebrachten Parteiensystems. Im Gegensatz zur ausgesprochen stabilen Bonner Republik fehlt der Berliner Republik inzwischen das Fundament, nämlich die Konkurrenz zweier starker Volksparteien, die in der Lage sind, sich bei der Regierungsbildung abzuwechseln. Laut der jüngsten Erhebung des Allensbach-Instituts gibt es nach drei Jahren Ampel-Streit nur noch eine Partei, der man überhaupt die Führung des Landes zutraut, nämlich die Union.[2] Die SPD hingegen ist unter der Nicht-Führung von Olaf Scholz zu einer bloßen Ergänzungspartei für eine mögliche große Koalition im Bund geworden, die zwar ein Teil der Bevölkerung schon wieder herbeisehnt, die aber schon lange nicht mehr groß ist. Im Gegenteil: Es ist keineswegs ausgemacht, dass CDU/CSU und SPD bei der nächsten Bundestagswahl über eine eigene Mehrheit verfügen werden. Dann käme als nächstliegende Option eine Regierung aus CDU/CSU, SPD und FDP in Betracht, also gewissermaßen die Restauration der alten Bundesrepublik, nämlich die Schrumpfkoalition der Parteien, die über 30 Jahre lang das gesamte Parlament stellten. Allein das zeigt, wie massiv sich das Parteiensystem verändert hat. Zudem spricht momentan wenig dafür, dass die FDP überhaupt in den nächsten Bundestag einziehen wird. Wenn aber CSU-Chef Markus Söder aus wahltaktischen Gründen mittlerweile auch eine Koalition mit den Grünen explizit ausschließt, dann folgt daraus, dass sich die Lage in ganz Deutschland nach der nächsten Bundestagswahl genau wie die jetzige in Thüringen darstellen könnte: Das Land wäre politisch blockiert, da ein Regieren ohne Beteiligung von AfD oder BSW nicht mehr möglich.

Wie also weiter? Was sind die Konsequenzen aus den drei Landtagswahlen?

Wenn Sachsens CDU-Chef Kretschmer mittlerweile dafür plädiert, den Begriff der Brandmauer zu schleifen, weil er der AfD in die Hände spiele, dann ist der nächste Schritt rhetorisch und argumentativ nicht mehr weit, der da lautet: Wenn wir schon keine Brandmauer mehr haben, dann können wir auch mit der AfD koalieren. Und tatsächlich ziehen erste Stimmen – in der Politik, aber auch in den Medien[3] – bereits Koalitionen mit der AfD in Erwägung, um diese zu „entzaubern“.

Kann man die AfD entzaubern?
Die CDU droht hier zum Opfer ihrer eigenen Taktik zu werden. Denn mit dem Argument, „der stärksten Partei steht die Regierungsbildung zu“, hatte sie sich im Land Berlin, lautstark unterstützt von einem Teil der Medien, 2023 durchgesetzt: Die einknickende SPD setzte daraufhin, obwohl es rechnerisch möglich war, die Koalition mit Grünen und Linkspartei nicht fort und verhalf Kai Wegner von der CDU zum Bürgermeisteramt. Nach dieser Argumentation wäre in Thüringen jetzt eine Koalition unter Björn Höcke als dem eindeutigen Wahlsieger nur die logische Konsequenz.

Eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei an der Macht zu beteiligen, wäre jedoch nicht nur der maximale Tabubruch, sondern würde auch den frisch gekürten CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz völlig diskreditieren. Schon deshalb wird es dazu in keinem der drei Bundesländer kommen. Dennoch wächst in erheblichen Teilen der Ost-CDU die Versuchung, den Umgang mit der AfD zu „normalisieren“, schon weil AfD und CDU, jedenfalls was die Landespolitik anbelangt, nicht weit auseinander liegen und die AfD personell teils Fleisch vom Fleische der Union ist.

Eine derartige Normalisierungsstrategie durch Regierungsbeteiligung ist allerdings schon deshalb eine hoch riskante Wette, weil sie die bisher noch geächtete AfD mit einem Schlag salonfähig machen würde. Wer aber könnte garantieren, dass die Entzauberung durch die braven CDU-Zauberlehrlinge am Ende aufgeht und tatsächlich die AfD marginalisiert wird – und nicht die Union? Man muss hier nicht auf das fatale Thüringer Experiment der 1930er Jahre verweisen, das die NSDAP erst hof- und regierungsfähig machte.[4] Es reicht der Blick nach Österreich, um zu erkennen, dass dergleichen gewaltig schiefgehen kann. Österreich kennt seit dem Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider keinerlei Brandmauer gegen die Rechtsradikalen. Das Ergebnis sehen wir nun, nach der jüngsten Nationalratswahl: eine noch stärker gewordene FPÖ mit immer radikalerem Kurs, von Haider über Heinz-Christian Strache bis zu Herbert Kickl.


Das BSW als Zünglein an der Waage
Wenn aber eine Koalition mit der AfD (noch) ausscheidet, kommt dem neugegründeten BSW die entscheidende Bedeutung zu – als möglichem Zünglein an der Waage bei den ostdeutschen Regierungsbildungen. Mit dem BSW ist eine hoch personalisierte, allein auf die charismatische Führungsfigur Sahra Wagenknecht ausgerichtete Partei aus dem Stand in drei Landesparlamente eingezogen; bereits das ist ein in der deutschen Parteiengeschichte einzigartiger Vorgang. Zudem aber, und auch das ist singulär und belegt die gegenwärtige Ausnahmesituation, wird die neue Partei sofort als Regierungspartei gehandelt.

Genau das aber ist das Dilemma des BSW – und die Falle, in die sich die Parteigründerin selbst begeben hat.

Denn einerseits hat Wagenknecht zum Zwecke der Stimmenmaximierung im Wahlkampf ihre Bereitschaft erklärt, sich an zukünftigen Landesregierungen beteiligen zu wollen, schon um auf diese Weise ihren Gebrauchswert in Abgrenzung zur von jeder Regierungsbeteiligung ausgeschlossenen AfD zu erhöhen.

Andererseits aber waren die drei Landtagswahlen immer nur eine Zwischenetappe in Wagenknechts Kalkül. Ihr eigentliches Ziel ist die nun möglicherweise bereits vorzeitig kommende gesamtdeutsche Wahl und der möglichst starke Einzug in den Bundestag. Dass das BSW jetzt mit Ergebnissen zwischen elf und 15 Prozent in drei verhältnismäßig kleine Ost-Parlamente eingezogen ist, ist dafür noch keineswegs die Garantie. Gelingt es nicht, auch in den großen und bevölkerungsreichen Flächenstaaten des Westens nahe an die Fünfprozenthürde zu kommen, kann die Erfolgsgeschichte des BSW ganz schnell wieder vorbei sein. Auch wenn momentan nicht viel für Letzteres spricht, wird Wagenknecht daher alles vermeiden, was ihr bisheriges Erfolgsrezept gefährdet. Und das lautet Fundamentalopposition, in klarer Freund-Feind-Diktion. Gegen den „Vasallenkanzler“ Scholz zu hetzen oder vor einem „Herrn Merz“ zu warnen, der, so Wagenknecht, „mit seinen außenpolitischen Positionen Deutschland massiv gefährden würde“, wird jedoch nicht glaubwürdiger, wenn man gleichzeitig auf Landesebene Koalitionsverhandlungen mit den Vertretern von SPD und CDU führt.

Träte das BSW sogar in eine Regierung ein, müsste es Verantwortung übernehmen, Kompromisse machen und auch Fehler begehen – zumal mit einer politisch völlig uneingespielten Partei. Damit ginge Wagenknecht genau das Risiko ein, das sie bisher gemieden hat wie der Teufel das Weihwasser. Vieles spricht daher dafür, dass sie ihr eigentliches Hauptziel, den Erfolg im Bund, nicht durch Regierungsbeteiligungen im Osten aufs Spiel setzen wird – und auch deshalb immer wieder die Notwendigkeit der Verankerung ihrer „Friedenspolitik“ auf Landesebene betont, um damit über eine mögliche Exit-Option zu verfügen. Insofern hat CDU-Chef Friedrich Merz völlig recht, wenn er feststellt, dass eine Koalition mit dem BSW „sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich“ sei.

Dafür gibt es aber auch noch einen weiteren, durchaus nicht nur parteistrategischen Grund: Mit einer Regierungsbeteiligung des BSW bliebe als Fundamentalopposition nur noch die AfD. Sie hätte dann vollends das Monopol auf dem Wut- und Protest-Feld.

Am Ende könnte es also genau zu dem kommen, was Bodo Ramelow nach den Erfahrungen in Thüringen gerade verhindern wollte, nämlich zu Minderheitsregierungen. Solche drohen nun in Ostdeutschland von der Ausnahme zur Regel werden. Alle anderen Ideen, wie etwa die vom Soziologen Steffen Mau ins Spiel gebrachten ergänzenden Bürgerräte, sind zwar interessant, erscheinen aber noch weniger kompatibel mit dem deutschen Parteiensystem und müssten insofern erst einmal auf breiter Basis erprobt werden.

Bei alledem bleibt die entscheidende Frage, ob und wie man den Populisten das Wasser wieder abgraben kann. Bloße AfD-Verhinderungskoalitionen sind dafür auf Dauer keine Lösung. Im Gegenteil: Solange die anderen Parteien in lagerübergreifenden Koalitionen keine Antworten auf die großen Probleme finden, sondern sich wie die Ampel in – besonders von der FDP provoziertem – Streit ergehen, wird die AfD ihre Erfolgsstrategie weiter ausbauen können, als erste Adresse für Wut, Hass und Ressentiment.

Minderheitsregierungen bedeuten jedoch auch eine Chance, nämlich die Notwendigkeit, mehr für die eigenen Argumente zu werben und die Parlamentarier anderer Parteien zu überzeugen, sprich: mehr Demokratie zu wagen. Das allerdings darf in Zukunft keinesfalls bedeuten, sich weiter von der AfD treiben zu lassen. Ja, Migration ist ein großes Thema, nicht nur in Ostdeutschland. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob man hier den Populisten hinterherrennt oder die eigene Diskurshoheit anstrebt und die anderen wichtigen Themen – wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und Klimawandel – in ein angemessenes Verhältnis dazu setzt. Nur so wird man den Wählerinnen und Wählern erklären können, dass der von der AfD geforderte Stopp der Migration (oder gar die massenhafte „Remigration“) in hohem Maße wirtschafts- und wohlstandsschädlich wäre.

Wer dagegen, dem fatalen Wort von Horst Seehofer folgend, Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärt, spielt nur der AfD in die Hände. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Jugend: Die AfD ist bei den jungen Menschen im Osten inzwischen die eindeutig beliebteste Partei, mit einer Wählerschaft in Thüringen von 38 Prozent. Uns gehört die Zukunft, jubiliert die Partei daher nicht ohne Grund. Und schlimmer noch: „Ihrer Ansicht nach wählen sie [die Jungwähler] nicht extrem“, so der Befund des Generationenforschers Rüdiger Maas.[5]

Um dieser „Normalisierung“ der Rechtsradikalen entgegenzuwirken, hilft nur massive Aufklärung in Form politischer Bildung, gerade auch über Social Media. Dafür bedarf es der Stärkung der Zivilgesellschaft, aber vor allem der demokratischen Parteien. Verstärkt sich dagegen die zunehmend hegemoniale rechte Jugendkultur weiter, droht das Regieren immer schwerer zu werden und die Demokratie selbst eines Tages keine Zukunft mehr zu haben. Dann könnten diese Jahre tatsächlich der jetzt oft beschworene „letzte Schuss“ zu ihrer Verteidigung gewesen sein.

[1] Vgl. Maximilian Steinbeis, Von der Opposition zur Obstruktion. Die drohende Blockademacht der AfD in Thüringen, in: „Blätter“, 9/2024.

[2] Renate Köcher, Die Wähler setzen auf die Union, faz.net, 19.9.2024.

[3] Christoph Schwennicke, Lasst die Maulhelden mal machen, t-online.de, 2.9.2024.

[4] Vgl. Volker Ullrich, Generalprobe in Thüringen. Wie die NSDAP 1930 die Zerstörung der Demokratie übte, in: „Blätter“, 9/2024.

[5] Interview mit Rüdiger Maas, in: „Neue Zürcher Zeitung“, 3.9.2024.

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  • Erstellt von max hoelz In der Kategorie Gesellschaft am 06.10.2024 21:29:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 06.10.2024 21:29
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