Ab heute käuflich.
… im Flusse der Bewegung
»Das Alte stirbt, während das Neue nicht zur Welt kommen kann«, mittlerweile ein geflügelter Ausspruch Antonio Gramscis (Gef. 2, H. 3, § 34, 354), mit dem er den Charakter eines Interregnums, einer Zwischenherrschaft ....

zwischen zwei Perioden kapitalistischer Entwicklung, kennzeichnet. Doch große strukturelle oder »organische« Krisen wie jene seit 2007/2008ff. verlaufen in unterschiedlichen Konjunkturen und einer Folge von Brüchen. Es ist eine Zeit, in der das alte hegemoniale Projekt, in diesem Fall des Neoliberalismus als organisierender Ideologie einer transnationalen informationstechnologischen Produktions- und Lebensweise, eben diese Hegemonie im Sinne des Versprechens und Potenzials einer erweiterten Akkumulation des Kapitals auf neuer Stufenleiter sowie eines aktiven Konsenses der Beherrschten einbüßt. Die alten Denk- und Handlungsweisen sind tief in die Subjekte eingeschrieben, v. a. aber auch institutionalisiert. Auf diese Weise kann sich die alte Herrschaft ihre Dominanz sichern, Alternativen und Gegenbewegungen behindern oder gar vernichten. Dennoch ist es eine Zeit, in der Alternativen wieder denkbar werden, unterschiedliche gesellschaftliche Projekte sich formieren, darum gerungen wird, in welcher Weise die Transformation kapitalistischer Produktions- und Lebensweise
künftig geformt werden soll. Im Prozess bleiben die meisten Projekte auf der Strecke.
Nun ist so ein Prozess der Herausbildung neuer Hegemonie(n) nicht als Betrachtung eines »fertige[n] Resultat[s]«, sondern in ihrem »Entstehungsprozess [zu] begleiten« (Marx, MEW 23, 236). Das erschwert die Analyse.
Eine marxistisch-sozialistische Transformationsforschung bezieht sich
dabei nicht nur auf die konkrete Analyse der konkreten Situation, vielmehr versucht sie auch künftige Entwicklungen und verschiedene Szenarien abzuschätzen und Möglichkeitsräume für linke Strategien zu ermessen. Wir können schlecht warten, bis wir nach Jahren rückblickend eine gesicherte
Analyse vornehmen können, wenn politisch interveniert werden soll und dafür analytische und strategische Orientierung gefragt ist. Diese Form der Transformationsforschung ist dabei notwendig selbst von Brüchen, Korrekturen,
Schleifen, Neubestimmungen geprägt, um »jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite« zu betrachten (MEW23, 27f.), also die gesellschaftliche wie die analytisch-strategische Bewegung selbst. So finden sich in den Texten teilweise wortgleiche
Passagen, deren Kontext und Bedeutung sich aber unter veränderten Bedingungen
verschoben haben.
Dieses Buch fasst einige meiner analytisch-strategischen Ansätze, Rejustierungen, Korrekturen, aber auch orientierende Linien und Fortentwicklungen
zusammen. Sozusagen eine zeitgeschichtliche Chronik nicht nur der Widersprüche und Konjunkturen des Interregnums, sondern vor allem des Beginns des Interregnums mit Ausbruch der organischen Krise über künftige Szenarien konkurrierender Projekte und Varianten eines »grünen Kapitalismus« (2009) bis zur These des absehbaren Endes des Interregnums (2023) und des Übergangs in eine Zeit blockierter Transformation und
Faschisierung (2024).
Letzteres signalisiert: »Es ist die Zeit der Monster.« (Slavoj Žižek schreibt diesen Satz Gramsci zu, tatsächlich stammt er von ihm selbst.) Das Interregnum selbst war eigentlich auch eine Zeit der Hoffnung, der vielfältigen
linken Aufbrüche, nicht nur eines neoliberalen Autoritarismus und des dadurch beförderten Aufstiegs der radikalen Rechten. Erst zu seinem Ende, mit der Schließung vieler Alternativen und dem Ende eines progressiven
Bewegungszyklus, beginnt die monströse Zeit. Diese Monster möchte ich verstehen helfen, ihre Wirkungsweisen und Widersprüche erkunden. Denn es ist unklar, ob die zwei derzeit konkurrierenden Herrschaftsprojekte, ein grün-kapitalistisches und liberal-imperiales und eines der Faschisierung, überhaupt in der Lage sein werden, eine mehr oder weniger stabile Entwicklungsperiode des Kapitalismus zu prägen, mehr noch, ob dies angesichts der
kommenden ökologischen Katastrophen und Kriege mittelfristig überhaupt noch möglich sein wird.
Insofern bestehen weiterhin Möglichkeiten für ein Überleben von Ideen und Strukturen der Linken, für populare Interventionen und eine Reorganisierung der Linken sowie die Verbreitung und orientierende Kraft sozialistischer Perspektiven. Auch diese Aspekte sollen hier nicht zu kurz kommen.
Die düstere, manchmal aussichtslose Lage gebietet, analytisch »zu sagen, was ist« (so die gern von Rosa zitierte Losung von Lassalle). Gemeint ist der (viel zitierte) »Pessimismus des Verstandes« (Gramsci). Doch eben dieser
lässt uns die Verhältnisse begreifen. Sie begreifen heißt, ihnen weniger ausgeliefert zu sein, dem »Optimismus des Willens« einen festen Grund zu bereiten. Von dort sind Wege gemeinsam erweiterter Handlungsfähigkeit
zur Verfügung über die gemeinsamen wie individuellen Lebensbedingungen (sozusagen ein take back control von links) zu suchen und zu beschreiten, ein verbindendes linkes Projekt zu reorganisieren, »trotz alledem«, wie Rosa sagen würde.
Noch einmal Antonio Gramsci, der den Schrecken seiner Zeit vor Augen hatte: Es braucht »nüchterne, geduldige Menschen […], die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern« (Gef. 9, H. 28, § 11, 2232). Dafür braucht es einen solidarischen
und unterstützenden Umgang miteinander, nicht Härte, um den Übeln zu trotzen, sondern Sorge füreinander, um gemeinsam zu bestehen
und wieder zu wachsen. Die Aufgabe: für eine Zukunft sorgen.
Mein besonderer Dank geht an Anne Steckner und Claudia Bechstein für bewegte Zeit und gemeinsame Sorge, an meinen Sohn Mino für die Freude auch in Zeiten politischer Niederlagen, an Barbara Fried und alle Kolleg:innen und Fellows des Institut für Gesellschaftsanalyse (IfG) der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die wir alle gemeinsam politische Auseinandersetzungen
gefochten und enorm produktive Debatten vorangetrieben haben und bis zum Ende und darüber hinaus so solidarisch miteinander waren. Mögen wir andere Inseln des Überlebens schaff en und mit Freude weitermachen.
Vorwort vom 26. Juni 2024