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Energie und Umbau der Produktion BY DANIEL TANURO

Energie und Umbau der Produktion BY DANIEL TANURO

17.07.2022 14:10

EMANZIPATION 1.1
https://emanzipation.org/
ÖKOSOZIALISMUS
Energie und Umbau der Produktion

BY
DANIEL TANURO
1. JUNI 2011
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Die Sackgasse ist tief, die Lage gefährlich, der Horizont scheint verdunkelt… Doch lassen sich, lässt man Profitzwänge außen vor, auch die Umrisse eines vernünftigen Auswegs skizzieren, wenn man vier gleichzeitige Bewegungen miteinander kombiniert: Erstens die Befriedigung der realen gesellschaftlichen Bedürfnisse; zweitens die Reduktion der globalen materiellen Produktion durch Senkung der Arbeitszeit und Abschaffung der Produktion überflüssiger und schädlicher Güter sowie eines bedeutenden Teils der Transportwege; drittens eine radikale Steigerung der Energieeffizienz und der vollständige Übergang zu erneuerbaren Energien, ungeachtet der Kosten; viertens die Schaffung der politischen und kulturellen Bedingungen für ein kollektives Verantwortungsbewusstsein für das, was wir herstellen, und also konsumieren, durch die demokratische Gestaltung des Übergangsprozesses.

Diese vier Bewegungen bedingen sich gegenseitig: Die Befriedigung der Grundbe­dürfnisse ist die Voraussetzung für die Verringerung der zu transformierenden Materie; diese wiederum ist Voraussetzung für den Übergang zu erneuerbaren Energien; die Ar­beitszeitverkürzung ist Voraussetzung für die wirksame Ausübung einer Produzentende­mokratie; und diese schließt den Kreis, indem sie die notwendigen Bedingungen schafft für eine kollektive Neubestimmung der Bedürfnisse, die durch die Warenproduktion entfremdet wurden.

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Die vier Bewegungen müssen gemeinsam in Gang gesetzt werden, weltweit, in äußerst kurzer Zeit. Niemand wird behaupten, das sei einfach, aber es gibt auch keinen Grund zu denken, es sei unmöglich. Das Hauptproblem ist ein politisches, denn die vier Bewegun­gen sind unvorstellbar ohne einige tiefe Eingriffe in das kapitalistische Eigentum: Ent­eignung der Energiemonopole und Einbehaltung ihrer Vermögen; demokratische Pla­nung des Übergangs auf allen Ebenen; radikale Ausweitung des öffentlichen Sektors, vor allem in den Bereichen Transport/Verkehr und Wohnen; kostenlose Versorgung mit Gü­tern des Grundbedarfs; Schaffung eines weltweiten Fonds zur Finanzierung der Umstel­lung unter der Kontrolle der sozialen Bewegungen in den Entwicklungsländern; Finan­zierung der Forschung aus öffentlichen Geldern und Unterbindung ihrer Aneignung durch die Industrie; Enteignung der Banken und Kreditinstitute, um der Gesellschaft die notwendigen Mittel für den Übergang an die Hand zu geben; Anzapfung der Gewinne, damit Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust möglich wird, dafür das Arbeitstempo gesenkt und zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden; eine demokratische Agrarre­form und räumliche Neuausrichtung des größten Teils der Nahrungsmittelproduktion durch Unterstützung der bäuerlichen Landwirtschaft. […]

Abstrakt und für sich genommen, sind diese notwendigen Maßnahmen mit dem kapitalistischen System nicht unvereinbar. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Ge­schichte haben z. B. mehrere Länder, und nicht die kleinsten, die Energieversorgung ver­staatlicht. Aber die Zusammenfassung dieser Maßnahmen zu einem zusammenhängen­den Konzept und seine Umsetzung im Verlauf von zwei Generationen ist im Rahmen von «Kapitalismus pur» nicht vorstellbar (Husson 2009). Das Programm für den Übergang zu einer im Wortsinn nachhaltigen Gesellschaft ist nicht durchsetzbar, ohne in allen wesentlichen Bereichen die Warenproduktion für den Profit durch die Produktion dauer­hafter Gebrauchswerte zu ersetzen, die die realen, und demokratisch ermittelten, Be­dürfnisse der Menschen befriedigen. Man muss nicht um den heißen Brei herumreden: Dieser Übergang entspricht der Definition einer Transformation sozialistischen Typs.

Allerdings ist erstens die Ökobilanz der UdSSR, der ehemaligen Staaten Osteuropas und Chinas, die sich «sozialistisch» nannten oder immer noch nennen, verheerend; zwei­tens zeigen die Anhänger des Sozialismus, alle Strömungen zusammengenommen, eine hartnäckige Mühe, die ökologische Herausforderung aufzugreifen und entsprechend zu handeln. Wir müssen die Frage also frontal angehen: Gibt es ein dem theoretischen Kor­pus des Sozialismus im Allgemeinen, des Marxismus im Besonderen innewohnendes Hindernis, das dem Aufgreifen der ökologischen Herausforderung entgegensteht?

Welche Verantwortung für die Natur?
Die Problemstellung ist nicht neu. In seinem Buch Prinzip Verantwortung, fragte sich der Autor, Hans Jonas, schon 1979: «Wer, Marxismus oder Kapitalismus, kann der (ökologi­schen) Gefahr abhelfen?» (Jonas 2005.) Zunächst sah er den Marxismus im Vorteil, weil er zwei Trümpfe hatte: Erstens stütze er sich auf die «kollektiven Bedürfnisse», statt auf den Profit, der «die Bedürfnisse anstachelt»; zweitens sei er, als «Tyrannei mit asketischen Zügen», besser in der Lage, «die unpopulären Maßnahmen durchzusetzen, die die dro­hende Zukunft erfordert». Das war aber nur eine rhetorische Frage. Danach untersucht er die Möglichkeiten, dass diese potenziellen Vorteile sich in eine konkrete Überlegenheit übersetzen, und verweist auf die fundamentalen Gründe, weshalb der Sozialismus unter dem Strich für die Umwelt in Wirklichkeit viel schlimmer wäre als jedes andere System.

Der wichtigste seiner Gründe ist die Stellung der Technik. Für Jonas stellt die Technik an sich eine Art dumpfe Bedrohung dar, eine, die ihr innewohnt, unabhängig vom Ge­sellschaftssystem: Sie ist die Hauptursache der Umweltzerstörungen. Da der Sozialismus das Ziel verfolgt, «sie noch mehr von den Fesseln des kapitalistischen Eigentums zu be­freien», hält der Philosoph dagegen und ruft: «Tut das nicht! Beseitigt vor allem nicht die kapitalistischen Hindernisse für den technischen Fortschritt!»1 Beseitigt vor allem nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Sicher, sie ist der Grund für die Ent­fremdung des Arbeiters gegenüber seinem Produkt; aber diese Entfremdung aufheben und die Expropriateure expropriieren würde bedeuten, dass die so befreite Technik noch mehr überhandnähme, weil sie kollektiv in den Dienst des «menschlichen Glücks» ge­stellt würde. Jonas führt diese Überlegung bis zur letzten politischen Schlussfolgerung: Blochs «Prinzip Hoffnung» – das Streben nach einer besseren Welt – ist die furchtbarste Bedrohung für die Umwelt, weil diese Utopie das uneinlösbare Versprechen eines besse­ren Lebens für eine große Zahl enthält. In Vorwegnahme zahlreicher Autoren, die heute in bestimmten Milieus der «décroissance» en vogue sind, endet Jonas damit, dass «viel eher als Wachstum die Beschränkung zur Tageslosung werden muss, und dies den Predi­gern der Utopie viel schwerer fällt als den Pragmatikern, die nicht an eine Ideologie ge­bunden sind».

Das Buch von Jonas wurde zu einem richtigen Bestseller und hatte, direkt und indi­rekt, enormen Einfluss auf die gesamte grüne Bewegung. Vertieft man sich erneut in sei­ne Lektüre, stellt man überrascht fest, dass sich die Diskussionslinien zwischen der Lin­ken und der Strömung, die ich in Ermangelung eines Besseren «politische und assoziati­ve Ökologie» nenne, kaum weiter entwickelt haben. Ungeachtet ihrer eigenen Vielgestal­tigkeit teilt die ökologische Strömung weitgehend drei Schlüsselideen im Denken von Jo­nas:

Erstens, die Herstellung des ökologischen Gleichgewichts ist in erster Linie eine Frage der Einschränkung des Konsums. Die Sphäre der Produktion bleibt unberücksichtigt, als sei die Überkonsumtion nicht eine Folge der Überproduktion;

Zweitens folgt daraus logisch, dass Umweltschutz vor allem von der moralischen Be­kehrung zur Mäßigung und Bescheidenheit abhängt. Da es wenig wahrscheinlich ist, dass die Gesellschaft in ihrer Mehrheit die notwendigen Einschränkungen akzeptieren wird, müssen die Entscheider bereit sein, sie ihr aufzuzwingen, mit List oder mit Gewalt; drit­tens, der Sozialismus ist eine Art Superproduktivismus, noch zerstörerischer als der Ka­pitalismus, da er materiellen Reichtum für die größte Zahl verspricht, während die öko­logische Krise strenge Sparsamkeit auf die Tagesordnung setzt.

Jonas hatte sicher das Verdienst, die Frage nach der Verantwortung für die künftigen Generationen aufzuwerfen. Aber er tat es ausgehend von der patriarchalen Idee, der Schutz des Kindes durch den Vater sei das Modell der Ethik schlechthin und müsse das Handeln der Herrschenden leiten. Der moralisierende und potenziell autoritäre Charak­ter seines Denkens ist offensichtlich. Dessen religiöse Dimension tritt dort hervor, wo er davon spricht, dass «die Natur Werte kultiviert, weil sie Ziele kultiviert» (Jonas 2005: 155). Diese religiöse Dimension hängt unmittelbar mit dem Fokus auf dem Konsum zu­sammen, da sie das Widerstehen der Versuchung in den Vordergrund rückt – als indivi­duellen Hebel für eine Verhaltensänderung. Sozialismus ist für Jonas das, was östlich des Eisernen Vorhangs war. Wenn er ihm zubilligt, dass er für die «kollektiven Bedürfnisse» produziert hat, singt er in Wirklichkeit das Loblied der tristen Eintönigkeit und Strenge eines Lebens unter der «Tyrannei», während er fälschlicherweise die Vielfalt des Ge­schmacks und der Fantasie der «Anstachelung der Bedürfnisse» durch den Markt zu­schreibt. Eine Rückkehr zur Religiosität würde seiner Meinung nach helfen, aus der öko­logischen Krise herauszufinden; mönchische Askese und die Achtung vor der göttlichen Schöpfung verdienten den Adelstitel.

Man wundert sich nicht, ähnliche Akzente im Appell europäischer Bischöfe für wirk­samen Klimaschutz zu finden. […] Aber täuschen wir uns nicht: Solche Akzente werden auch in anderen Milieus gesetzt, wenn auch in einer weniger extremen Form. Da sie sich auf den Konsum konzentriert, folgt fast die gesamte, für die Masse bestimmte Ideologie­produktion in Bezug auf die Umweltfrage dem ideologischen Raster des Prinzips Verant­wortung, der Einschränkung und der Buße. Der Film Home von Yann Arthus Bertrand zum Beispiel ist letztlich nichts anderes als ein Aufruf, jeder und jede, ob Reich oder Arm, Boss oder Arbeiter, möge sich zur Ökologie bekennen, um Erlösung von seinen Sünden und denen der Menschheit zu finden (vgl. Tanuro 2009). Jared Diamonds Bestseller Kol­laps (Diamond 2005) ist grundsätzlich aus demselben Holz: Man muss den eigenen Kon­sum einschränken und Kinder in die Welt setzen, sonst drohen uns schreckliche Strafen. Wie um die Einbildung struktureller Antworten stärker hervorzuheben – ohne sich je­doch erkennbar damit auseinanderzusetzen –, stellt Diamond die exzellente Ökobilanz eines privaten Ölkonzerns (Chevron) der fürchterlichen Verschwendung eines öffentli­chen Unternehmens (der Nationalen Indonesischen Ölgesellschaft) gegenüber. Die Bot­schaft liegt auf der Hand: Alles ist eine Frage der persönlichen Verantwortung. Nicht nötig, zu kollektiven Lösungen zu greifen, wie die Verstaatlichung der Energie, die Aus­weitung des öffentlichen Sektors oder kostenlose Grundversorgung: die würden die Si­tuation nur verschlimmern.

Die schärfsten Wortführer einer Bekehrung zur ökologischen Religion greifen gern zur Lehre von den letzten Dingen (Eschatologie). Das ist bei Diamond der Fall, der sich auf die Arbeiten von Vitousek und Kollegen stützt (Vitousek et al. 1997) und behauptet, bis 2050 würde fast die gesamte photosynthetische Kapazität der Biosphäre durch mensch­liche Aktivität verbraucht, sodass «nur ein ganz kleiner Teil (der Sonneneinstrahlung) für das Wachstum der natürlichen Pflanzengemeinschaften übrig bleibt» (Diamond 2005: 491)2. Unvermeidlich haben sie auch gemeinsame Bezugspunkte: Malthus, den Jonas und viele andere als Vater der Ökologie preisen3, und Garret Hardin, Autor eines Artikels mit dem Titel «The tragedy of the commons». Dieser verteidigt die Vorstellung, dass kol­lektives Eigentum an natürlichen Ressourcen zwangsläufig zu ihrer Zerstörung führt, denn jeder bedient sich daraus nach seinen unmittelbaren Bedürfnissen, ohne sich für die Umwelt und für die Zukunft verantwortlich zu fühlen (Hardin 1968). Da er nicht mal in der Lage ist in Betracht zu ziehen, dass der heutige Individualismus das Produkt des kapitalistischen Dschungels sein könnte, erhebt Hardin den Egoismus und die Gier des Kleinbürgers in den Rang der Biologie des Homo sapiens (zugleich eine einfache Metho­de, um jedermann freizusprechen: «Was wollt ihr, wir sind so gestrickt…»).

Es ist relativ leicht, diesen ganzen in Pseudowissenschaft eingepackten, reaktionären ideologischen Wust zu entlarven. Auf Hardin lässt sich beispielsweise antworten, dass das kapitalistische Privateigentum gerade dabei ist, unwiederbringliche Ressourcen in einer Größenordnung zu zerstören, die in der Geschichte ihresgleichen nicht hat – vor allem die Vorräte an fossilen Brennstoffen, für deren Aufbau die Natur mehrere hundert Mil­lionen Jahre gebraucht hat. Doch das allein wird nicht überzeugen, denn die Bilanz der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten im 20. Jahrhundert zeigt, dass eine Gesell­schaft auf der Grundlage von kollektivem Eigentum an Produktionsmitteln ebenso ver­hängnisvoll auf die Umwelt wirken kann, sogar mehr, als eine Gesellschaft auf der Grundlage von Privateigentum. Diesbezüglich ist die Schuld in der Klimaakte eindeutig: Unmittelbar vor dem Fall der Mauer emittierte die Tschechoslowakei pro Kopf und Jahr 20,7 Tonnen CO2, die DDR 22 Tonnen; die USA, Kanada und Australien hingegen – die größten CO2-Emittenten der entwickelten kapitalistischen Welt – stießen damals jeweils 18,9, 16,2 und 15 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr aus… bei einem weitaus höheren Brut­toinlandsprodukt pro Kopf.4

Damit wir keine falschen Schlussfolgerungen aus diesen Zahlen ziehen, müssen wir noch einmal zur Definition von Sozialismus zurückkehren: eine Gesellschaft, die gemäß den realen, demokratisch ermittelten, menschlichen Bedürfnissen Gebrauchswerte her­stellt. An dieser Elle gemessen, waren die UdSSR und ihre Nachbarn (vom heutigen Chi­na mit seinem kapitalistischen Boom unter bürokratischer Aufsicht nicht zu reden) kei­ne sozialistischen oder kommunistischen Länder, sondern Staaten, deren Übergang zu einer postkapitalistischen Produktionsweise blockiert worden war. Logischerweise drängt sich die Frage auf, ob die angerichteten Schäden das Resultat ihrer neuen sozialis­tischen Merkmale, oder ihres kapitalistischen Erbes oder von Mischformen aus beiden Systemen war.

Wir haben die Akkumulation des Kapitals unter der Peitsche der profitgetriebenen Konkurrenz als die Hauptursache der zunehmenden Umweltzerstörung ausgemacht und haben dafür den etwas vagen Begriff «Produktivismus» gebraucht. Definieren wir diesen Produktivismus durch den doppelten Prozess: «produzieren um der Produktion willen» und «konsumieren um des Konsums willen». Beide Bewegungen sind offensichtlich komplementär und es lohnt sich anzumerken, dass Marx in ihrem Hervortreten ein Merkmal der Degeneration des Kapitalismus sieht:

«Ist die Überproduktion des Arbeiters Produktion für andre [weil der Kapitalist den Mehrwert aneignet], so die Produktion des normalen Kapitalisten, des industriellen Ka­pitalisten, wie er sein soll, Produktion um der Produktion willen [weil der Kapitalist nicht ausgeben, sondern investieren will]. Je mehr sein Reichtum wächst, fällt er zwar hinter dies Ideal und wird selbst verschwenderisch, schon zur Schaustellung seines Reichtums. Aber es ist stets genießender Reichtum mit bösem Gewissen, mit dem Hinterhalt der Ökonomie und der Berechnung. Er bleibt trotz aller Verschwendung, wie der Schatz­bildner, essentiellement geizig. Wenn Sismondi sagt, dass die Entwicklung der Produk­tivkräfte der Arbeit den Arbeiter zu immer größeren Genüssen befähigt, dass aber diese Genüsse selbst, wenn sie ihm würden, ihn zur Arbeit (als Lohnarbeiter) disqualifizieren würden … so ist es nicht minder richtig, dass der industrielle Kapitalist mehr oder min­der zu seiner Funktion unfähig wird, sobald er selbst den genießenden Reichtum vor­stellt, sobald er Akkumulation der Genüsse statt des Genusses der Akkumulation will. Er ist also ebenfalls ein Produzent von Überproduktion, Produktion für andre. Dieser Über­produktion auf der einen Seite muss die Überkonsumtion auf der andren, der Produkti­on um der Produktion wegen, die Konsumtion um der Konsumtion wegen gegenüber­treten.» (Marx 1863: 254f.)5

War die UdSSR produktivistisch obwohl nicht kapitalistisch? In gewisser Weise, ja. Die Wirtschaft wurde durch die politische Führung bürokratisch geplant. Diese hatte nach­dem sie unter Stalin das absurde Dogma des «Sozialismus in einem einzigen Land» an­genommen hatte, unter Chruschtschow das erklärte Ziel verfolgt «die USA einzuholen und zu überholen». Die Staatsunternehmen wurden von Direktoren geführt, die von oben ernannt wurden. Durch individuelle Prämien, im Verhältnis verarbeiteten Menge der Rohstoffe dazu angehalten die Ziele des Plans zu respektieren, hatten diese Manager ein persönliches Interesse daran, ein Maximum an Kohle zu verfeuern und Maschinen herzustellen – zum Beispiel Traktoren für die Landwirtschaft – die ein Maximum an Ei­sen pro produzierte Einheit enthielten (was sich im Falle dieser Traktoren als besonders unklug erwies).

Dieses System der Prämien war klar kapitalistisch und nicht sozialistisch geprägt. Zu­dem war es wirklich produktivistisch. Es regte dazu an zu produzieren, um zu produzie­ren. Dennoch war dieser Produktivismus anders als jener, der die kapitalistische Waren­gesellschaft antreibt: tatsächlich versucht ein Kapitalist pro produzierte Einheit weniger Kohle zu verfeuern und weniger Eisen zu verarbeiten, um die Kosten zu senken und Markteinteile zu gewinnen – damit eine Überkonsumtion seine Überproduktion absor­biert. Die sowjetischen Manager kannten diese Sorgen nicht, die sich um die Endnach­frage wie ein Fisch um einen Apfel kümmerten. Es existierte also ein Zwitterding, das man bürokratischen Produktivismus bezeichnen könnte, eine weniger effiziente Kopie als das kapitalistische Original – und folglich gesellschaftlich weniger legitim (man erin­nere sich an die Schlangen vor den staatlichen Läden) – aber ebenso zerstörerisch wie die­ses. […]6

Kritik der Décroissance
Im Schlepptau von Jonas legen die Anhänger der «décroissance» (Schrumpfung) den Hauptakzent auf die Kulturkritik des Konsumismus. Diese Kritik ist notwendig, aber un­zureichend, der Dreh- und Angelpunkt einer Alternative ist die Kritik der globalen Pro­duktionsweise. Diese generiert nicht nur auf der einen Seite «den Konsum um des Kon­sums willen», sondern auf der anderen Seite auch gleichzeitig die chronische Unterkon­sumtion. Die Hoffnung, die ökologische Zerstörung ließe sich durch eine gegen die Überkonsumtion gerichtet Bewegung der «kulturellen Ansteckung» vermeiden, ist des­halb illusorisch: Einerseits gibt es diese Bewegung vorwiegend in den entwickelten Län­dern – und in diesen schweigt sie sich über die nicht befriedigten Bedürfnisse von Mil­lionen Opfern der Erwerbslosigkeit, der Ausgrenzung und der prekären Arbeit aus; an­dererseits können individuelle Verhaltensänderungen in Ermangelung struktureller Ver­änderungen nur in einen asketischen Lebensstil münden, der allerdings wenig «an­steckend» ist.

Will man nicht auf Technologien des Zauberlehrlings zurückgreifen, kann ein Um­kippen des Klimas nur verhindert werden, indem der Energiekonsum radikal gesenkt wird und infolgedessen die Transformation und der Transport von Materie. Die Vertreter der «décroissance» haben das Verdienst, diese Frage in die politische Diskussion eingeführt zu haben. Doch Schrumpfung ist kein Gesellschaftsprojekt, ist nur ein quantitativer Zwang in einer Übergangsphase. Sicher ein größerer Zwang, die jede Strategie der ge­sellschaftlichen Transformation vor neue Herausforderungen stellt. Wie diese jedoch aufgegriffen werden, ist qualitativ nicht entschieden, und deshalb koexistieren auch rech­te und linke Strömungen der «décroissance», obgleich sie einander diametral entgegen gesetzt sind.

Ob man es will oder nicht, entscheidend ist, ob man für oder gegen den Kapitalismus ist. Bestimmte Wachstumsverweigerer weichen der Frage aus. Die US-amerikanische Wochenzeitung New Scientist veröffentlichte jüngst einen Artikel, der in Zusammenar­beit mit dem Ökonomen Hermann Daly entstanden war, eine der Vorzeigefiguren der an­gelsächsischen Degrowth-Strömung (Daly 2008). Er beschreibt eine Fiktion: das Leben in den USA zehn Jahre nach der Entscheidung, einen «stationären Kapitalismus» einzu­führen, der «die Ressourcen nicht schneller verbraucht als sie sich erneuern und Abfall nicht schneller absondert, als er absorbiert wird». Lassen wir beiseite, dass ein «stationä­rer Kapitalismus» ein Widerspruch in sich ist. Stellen wir nur fest, dass das Bild eher ab­stoßend ist: In dieser Gesellschaft legen jedes Jahr «Wissenschaftler die Regeln fest» – nicht nur für die akzeptable Menge an Abfall, sondern auch für die Einwanderungsquo­te, die erlaubt ist, um die Bevölkerung zu stabilisieren, für die genehmigte Zahl an Kin­dern usw. Wie bei Jonas mündet die Radikalisierung einer Strategie, die ihren Fokus auf den Konsum richtet und einer patriarchalen Vorstellung von Verantwortung folgt, in ei­nem reaktionären Postulat: dem nach einem grünen Kapitalismus, flankiert von einem Schwarm von Bürokraten, in dem die sozialen Ungleichheiten fortbestehen. Eine «nach­haltige» Gesellschaft … mit Ausbeutern, Ausgebeuteten, Grenzen, Ausweisungen, einer Polizei und einer Armee im Dienste der Besitzenden, usw.

Doch antikapitalistische Bekenntnisse reichen nicht wirklich aus, um rechts und links in der Décroissance-Bewegung zu unterscheiden. Einer ihrer wichtigsten und in den Me­dien bekanntester Sprecher, Serge Latouche, bekennt sich zu einem scharfen Antikapita­lismus, der in Wirklichkeit zutiefst reaktionäre Vorstellungen verbirgt.7 Das Paradox er­klärt sich durch einen ziemlich groben Taschenspielertrick: Latouche wirft Wachstum und Entwicklung durcheinander, dann Entwicklung und Kapitalismus, sodass sein An­tikapitalismus in Wahrheit nichts anderes ist als die Anprangerung der Menschheitsent­wicklung. In seinem Buch Survivre au développement (Latouche 2004) fängt er damit an, dass man Entwicklung nicht aus ihrem historischen Kontext lösen könne, sonst bedeute der Begriff «alles und sein Gegenteil». Sehr richtig! Aber statt dann die Besonderheiten der kapitalistischen Entwicklung zu studieren, definiert er Entwicklung summarisch als ein «Unterfangen, das die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur in Waren verwandeln will». Wenn man nicht auch sagt, dass diese Definition nur auf die ka­pitalistische Entwicklung passt, dann werden die Erfinder der Faustkeils, der Landwirt­schaft und des Rads, die keine Waren, sondern Gebrauchsgegenstände herstellten, in denselben Sack mit James Watt und seiner Dampfmaschine, oder mit Bill Gates und sei­ner Software gesteckt, und es wäre zu bedauern, dass wir nicht auf dem Stadium der Jä­ger und Sammler stehen geblieben sind…

Latouche versucht, seine Argumentationsweise mit der Behauptung zu stützen, die (kapitalistische) Entwicklung sei die einzig «real existierende», eine andere sei nicht mög­lich: «eine andere Entwicklung, das ist Nonsens», schreibt er. Das ist ein Sophismus. Ge­nauso gut könnte man behaupten, die einzige, real existierende Demokratie auf der heu­tigen Welt sei die kapitalistische, eine andere könne es nicht geben. Dasselbe könnte ge­sagt werden von der Gerechtigkeit, der Freiheit, dem Frieden, der Kultur… Sollen wir fordern, Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit, Kultur hinter uns zu lassen? Das ist offen­sichtlich absurd. Die Methode von Latouche ist in Wirklichkeit identisch mit der von Ul­tralinken, die bei jeder Gelegenheit rufen: «Es gibt nur eine Lösung, die Revolution». Sei­ne Schlussfolgerung ist ähnlich: «Es gibt nur eine Lösung, raus aus der Entwicklung.» Das scheint radikal, ist es aber ganz und gar nicht, denn mit der Verurteilung von «Entwick­lung» im Allgemeinen wird tatsächlich… der Kapitalismus weggezaubert. Dieser verliert damit jeden historischen Gehalt, seine Gesetze scheinen Teil der Naturgesetze der Ent­wicklung zu sein. Gegenstand der Kritik ist nicht mehr der Kapitalismus, Gegenstand der Kritik ist «die Entwicklung» (die missbräuchlich mit «Wachstum» gleichgesetzt wird).

Diese Anklage ist philosophisch ein gefährlicher Weg dar, denn die Fähigkeit, sich ge­sellschaftlich zu entwickeln, ist Bestandteil der menschlichen Natur. Da ist die Misan­thropie nicht weit. Es ist auch ein Weg ohne Ausweg, denn die Veränderungen, die not­wendig sind, um aus der Klimafalle herauszukommen, erfordern tatsächlich eine Ent­wicklung: Das im Keim im Bestehenden vorhandene Mögliche muss sich konkretisieren, indem
es das Bestehende ersetzt. In sozialen und politischen Begriffen besteht die
ganze Schwierigkeit darin, dieses Mögliche in den Augen der Ausgebeuteten und
Unterdrück­ten wünschenswert zu machen, da sie an die kapitalistische
Maschinerie gekettet sind durch den täglichen Zwang, ihre Arbeitskraft im
Austausch gegen einen Lohn zu ver­kaufen und spontan darauf hoffen, dass
Wachstum ihnen Lohn und Brot garantiert. An­statt dieses Hindernis konkret
anzugehen, weicht Latouche ihm aus und setzt auf die «Pädagogik der
Katastrophen», die es, «so schmerzhaft sie auch sein mögen», ermögli­chen
werden, «den notwendigen Wandel der Vorstellungskraft anzustoßen, Bedingung für den Triumph der Alternativen». Diese «Pädagogik» riecht stark nach Malthus, und der Autor verhehlt dies, wie Jonas, kaum. Er schreibt: «Die Tragfähigkeit der Erde ist weit­gehend erschöpft» (Latouche 2004). Er sagt uns nicht, wieviele Menschenleben zu ver­schwinden haben, damit die Pädagogik wirksam wird, und er erklärt sich auch nicht zum Selbstmordkandidaten, um mit Beispiel voranzugehen…

Die Strömung der «Wachstumsverweigerer» verweigert sich dieser «Katastrophen­pädagogik» und begibt sich auf die Suche nach einer gesellschaftlichen Strategie, um die unteren Schichten für den Kampf gegen den kapitalistischen Produktivismus zu gewin­nen. So fragt Paul Ariès nach den Maßnahmen, um «Rationierung erstrebenswert zu ma­chen». Sein Hauptangriffspunkt bleibt die Enthaltsamkeit im Konsum, aber einer seiner Vorschläge fordert die Unentgeltlichkeit des Wasserverbrauchs, wenn damit Grundbe­dürfnisse befriedigt werden (siehe u. a. Aries 2008). Hier haben wir eine Forderung, die die Linke ohne weiteres unterstützen sollte und die aus der individuellen Sphäre hinaus­tritt, um das Problem auf gesellschaftlicher Ebene zu stellen. Analoge Forderungen müss­te es im Bereich der Energieversorgung und anderer Güter des Grundbedarfs geben, denn
deren Unentgeltlichkeit hätte auf das Bewusstsein einen gewaltigen
antiproduktivisti­schen und konsumkritischen Einfluss. Doch treten Forderungen
dieser Art offensichtlich in Konflikt mit der Logik des Profits, also mit dem
Privateigentum an Ressourcen und Produktionsmitteln. Die Unentgeltlichkeit von elektrischem Strom zur Befriedigung rea­ler Bedürfnisse wirft zum Beispiel die Forderung nach Vergesellschaftung des Energie­sektors auf. Dasselbe gilt für das Wasser, und man begreift sofort, dass solche Maßnah­men ihrerseits eine Umverteilung des Reichtums zugunsten des öffentlichen Sektors vor­aussetzen.

Da die Überkonsumtion in letzter Instanz auf der Überproduktion beruht, ist es die Produktionsweise, die man angreifen muss. Dies erfordert eine kollektive soziale und po­litische Aktion. Die Beteiligung der Produzenten daran ist absolut entscheidend, darin besteht aber auch die große Schwierigkeit. Die wachstumskritische Linke, wie auch die Rechte, neigen dazu, ihr auszuweichen. Hervé Kempf gab einem seiner Werke den Titel Pour sauver la planète, sortez du capitalisme («Steigt aus dem Kapitalismus aus, um den Planeten zu retten»). Der Gebrauch der zweiten Person verstärkt die Vorstellung, dass dies eine Frage der persönlichen Motivation ist. Tatsächlich ist der Kapitalismus für Kempf keine Gesellschaft der verallgemeinerten Warenproduktion, sondern «ein gesell­schaftlicher Zustand, in dem die Individuen nur von der Suche nach Profit getrieben und einverstanden sind, dass alle Aktivitäten, durch die sie zu einander in Beziehung treten, durch den Marktmechanismus reguliert werden» (Kempf 2009). Diese seltsame Defini­tion einer Produktionsweise durch Motivation und Zustimmung der Individuen, und nicht durch ihre ökonomische Basis, mündet nahezu zwangsläufig in eine Strategie des individuellen oder in kleinen Gruppen vollzogenen Bruchs. «Aus dem Kapitalismus aus­steigen heißt, Personen andere Handlungsmotive als ihre eigenen Interessen zuzugeste­hen; es heißt auch der Ökonomie – also der Produktion und dem Austausch der Güter – den exklusiven Platz wegzunehmen, den sie in der Gesellschaft innehat, um die Organi­sation menschlicher Beziehungen zum Zweck ihrer Harmonie ins Zentrum zu stellen.» Es mag sympathisch anmuten, «der Ökonomie ihren zentralen Platz in der Gesellschaft wegzunehmen». Das Problem ist, dass die menschliche Gattung ihre Existenz gesell­schaftlich produziert, dass aber die aktuelle Produktionsweise genau die Ursache für die Umweltzerstörungen ist. Es geht also darum, sie kollektiv zu bekämpfen, nicht sie zu um­gehen.

Gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel und des Stoffwechsels mit der Natur
Die große Herausforderung ist die Verbindung zwischen den ökonomischen Kämpfen und dem Kampf für den Schutz der Umwelt. Im Allgemeinen interessieren sich die Décroissance-Anhänger nicht für unmittelbare Forderungen nach Lohn und Beschäfti­gung, die sie als «konsumorientiert» betrachten. Sie haben Unrecht. In Wirklichkeit sind die Arbeitenden desto weniger in der Lage, die für den Bruch der produktivistischen Spi­rale unerlässlichen antikapitalistischen Lösungen zu unterstützen, je defensiver und zer­splitterter ihre Kämpfe und je ungünstiger die Kräfteverhältnisse für sie sind. Erst wenn sie durch eine Reihe von Erfolgen in der unmittelbaren Konfrontation mit den Unter­nehmern kühner und bewusster wird, versetzt sich die Welt der Arbeit in die Lage, wei­tereichende Forderungen aufzustellen, die das kapitalistische Eigentum in Frage stellen. Dies reicht sicher nicht aus, um ein ökologisches Bewusstsein zu entwickeln. Aber nur indem sie beginnen, sich ihre Produktionsmittel kollektiv wieder anzueignen, werden sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten letzten Endes auch das erste Produktionsmit­tel wieder aneignen können, von dem sie durch den
entstehenden Kapitalismus getrennt worden waren: die Natur und ihre Ressourcen.

Diese Wiederaneignung ist ihrerseits die notwendige Bedingung für einen verant­wortlichen Umgang mit der Umwelt, der auf einer Kultur des Respekts vor der Natur be­ruht, nicht auf einer wuchernden und unkontrollierbaren Bürokratie. Generell ist eine Strategie, die sich um Selbstverwaltung der gesellschaftlichen Produktion und des Aus­tauschs mit der Natur dreht, die einzige, die einer demokratische Lösung für das Problem erlaubt, das Jonas und die Décroissance-Anhänger umtreibt: die Tatsache, dass der Spät­kapitalismus in den entwickelten Ländern auf Massenebene Bedürfnisse und Gewohn­heiten geschaffen hat, die abgebaut werden müssen, weil sie ökologisch unhaltbar sind.

Diese Strategie ist keineswegs abstrakt, sondern wie ein roter Faden, mit dem der ge­sellschaftliche Widerstand heute mit der Perspektive einer im Wortsinne nachhaltigen, also nichtkapitalistischen, Gesellschaft verbunden werden kann. Der Autor dieser Zeilen hat Erfahrung damit. Ende der 70er Jahre hat er einige hundert überzählige Beschäftigte der Glasindustrie unterstützt, Opfer einer Betriebsschließung, denen es am Ende eines sehr langen radikalen Kampfes gegen einen multinationalen Konzern gelang, ihre Fer­tigkeiten und kollektive Umschulung in eine öffentliche Gesellschaft für Wärmeisolati­on und
Wohnungssanierung einzubringen. Von allen Seiten sabotiert, war das Geschäft
von kurzer Dauer, aber die Interessierten, angefeuert von einem bemerkenswerten Ge­werkschaftsteam, hatten die Zeit, eine ökosozialistische Argumentation – noch vor der Verbreitung dieses Begriffs – für einen sparsamen Umgang mit Energie zu entwickeln, und sich insbesondere mit der Anti-AKW-Bewegung zu solidarisieren.

Die Geschichte ist voll von Beispielen, die zeigen, dass die solideste
Verantwortung für die Umwelt diejenige ist, die aus der Selbsttätigkeit und
Selbstorganisation der Produ­zenten entsteht, also aus einem günstigen
Kräfteverhältnis im Klassenkampf und dem daraus folgendem Bewusstsein. Die
ältesten Beispiele sind nicht die uninteressantesten. So schlugen die
aufständischen deutschen Bauern 1525 vor, die von den Feudalherren an­geeigneten Wälder nachhaltig zu nutzen: «Zum fünften sind wir auch beschwert der Be­holzung halb, denn unsere Herrschaften haben sich die Hölzer alle allein zugeeignet, und wenn der arme Mann etwas bedarf, muss er’s ums doppelte Geld kaufen. Unsere Mei­nung ist, [die Hölzer] … sollen einer ganzen Gemeinde wieder anheimfallen, und einem jeglichen aus der Gemeinde soll ziemlicherweise frei sein, daraus seine Notdurft ins Haus umsonst zu nehmen … doch mit Wissen derer, die von der Gemeinde dazu erwählt wer­den, wodurch die Ausreutung des Holzes verhütet werden wird» (zitiert nach Zimmer­mann 1978: 327). Ein bemerkenswerter Text:
Einfache Bauern schlagen vor fünfhundert Jahren vor, dass ein gewähltes Organ
die Überausbeutung der Wälder in Gemeinbesitz verhindern soll, und verweisen
damit die «asketischen Tyrannei» eines Hans Jonas und der «Tragödie der
Commons» eines Garrett Hardin (1968) auf den ihnen gebührenden Platz!

Ideologisch ist größtes Misstrauen gegenüber Wortführern der
Décroissance-Rechten wie Serge Latouche angesagt. Wissenschaftlich ist der
«vierte Grundsatz der Thermody­namik» unhaltbar, den sich der Ökonom Nicholas
Georgescu-Roegen vorstellt: Er besagt, dass die Zunahme der Entropie (das Maß
der Unordnung) ein grundlegendes Kennzei­chen des Lebens und sogar der Materie
ist (Georgescu-Roegen 1979)8. Auf der Ebene der Wahrnehmung der sozialen Realität geht es darum, sich freizumachen von der einseiti­gen Sichtweise auf die Lohnabhängigen als Anwärter auf Überkonsumtion und Kompli­zen der Zerstörung des Planeten, statt in ihnen ausgebeutete Produzenten zu sehen, de­ren kollektive Aktion ein Hebel für Veränderungen sein kann, die auch ihre eigene ent­fremdete Konsumweise in Frage stellen. Georgescu-Roegen kommt allerdings das Ver­dienst zu, als einer der ersten den Mythos des unbegrenzten Wachstums in einer endli­chen Welt an den Pranger gestellt zu haben, und die Décroissance-Anhänger haben in ei­nem entscheidenden Punkt Recht: Die vorrangige Maßnahme zur Klimastabilisierung ist nicht die Entwicklung neuer grüner Technologien, sondern die Senkung des
Energie­konsums, also von Produktion und Transport von Materie. Das ist ein
Punkt, den Mar­xisten nur widerwillig akzeptieren.

Das Problem der Energie
Wir wenden uns deshalb der zweiten Frage zu, die am Anfang des Kapitels aufgeworfen wurde: Gibt es jenseits der stalinistischen Karikatur einen ökologischen Webfehler im theoretischen Korpus des Sozialismus im Allgemeinen und des Marxismus im Besonde­ren?

Auch wenn sie ihn nicht gelesen haben, was oft der Fall ist, versäumen die Grünen kei­ne Gelegenheit zu wiederholen, Marx sei ein Produktivist und weise jede Vorstellung von einer Endlichkeit der Ressourcen von sich. Diese Behauptung hält einer objektiven Prü­fung nicht stand. Manche Formulierungen von Marx und Engels sind tatsächlich zwei­deutig und kritikwürdig. Aber die Frage der natürlichen Ressourcen und ihrer Endlich­keit ist in ihrer Analyse sehr präsent. Marx sagt ausdrücklich, dass es die quantitativen Schranken von Boden, der Mineralstoffen, Wasserkraft und anderer Ressourcen sind, die ihre Aneignung durch die Grundbesitzer ermöglicht hat – mit allem, was daraus folgt: die Trennung der Produzenten von der Erde; die Herausbildung einer Klasse, die ge­zwungen ist, ihre Arbeitskraft an die Eigentümer von Produktionsmitteln zu verkaufen; die Möglichkeit für die Grundeigentümer, sich einen Teil des globalen Mehrwerts in Form der Rente anzueignen. In anderen Worten: Ohne natürliche Schranken ist Kapita­lismus nicht möglich (Tanuro 2007b).

Grundsätzlich kann eine ernsthafte Bilanz des Marx’schen Denkens das Konzept der «rationellen Regulierung des Stoffwechsels» (oder des «sozialen Metabolismus») zwi­schen Menschheit und Natur, wie es im Kapital entwickelt wird, nicht ignorieren. Der Ausgangspunkt der Analyse ist hier recht prosaisch. Dank der Arbeiten von Justus Liebig (dem Pionier der Bodenchemie) hatte Marx verstanden, dass die kapitalistische Urbani­sierung den Ernährungszyklus durchbricht: Menschliche Exkremente und pflanzlicher Abfall kehren nicht auf das Feld zurück, der Boden verarmt an Mineralstoffen, der dar­aus folgende Verlust an Fruchtbarkeit ist im historischen Maßstab irreparabel. Begierig auf wissenschaftliche Debatten, begeisterte er sich für diese Agrarfragen. Aber er geht noch weiter und wirft das allgemeine Problem des «Stoffwechsels» zwischen der mensch­lichen Gattung und der Umwelt auf. Er tut dies im Rahmen einer philosophischen Re­flexion über das Verhältnis zwischen dem «Reich der Freiheit» und dem der «Notwen­digkeit» – in anderen Worten, über die Grenzen der möglichen Befreiung im Verhältnis zur Arbeit.

Nichts wäre falscher als die Vorstellung, der Marxismus verspreche eine Gesellschaft von Müßiggängern, die dank der Ersetzung der Arbeiter durch Roboter hemmungslos schlemmen. Ein solches Denken ist Marx vollkommen fremd. Die Arbeit ist für ihn ein unveräußerliches Muss – die besondere Art der Vermittlung zwischen dem Homo sapi­ens und seiner Umwelt, und die Endlichkeit der Ressourcen impliziert, dass die Steige­rung der menschlichen Arbeitsproduktivität nicht grenzenlos möglich ist.9 Daraus zieht
er den Schluss, dass die «einzig mögliche Freiheit» in der «rationellen
Regelung» des ma­teriellen Stoffwechsels zwischen unserer Spezies und ihrer Umwelt (der «gesellschaftliche Stoffwechsel») ist (Marx 1894: 828). Gestützt auf dieses Konzept kehrt er in der Folge zum konkreten Problem der Böden zurück und gelangt zum Schluss, dass die Trennung von Stadt und Land, somit auch die der Produktion und Konsumtion landwirtschaftli­cher Produkte im Weltmaßstab aufgehoben werden muss.10 Dieses methodologische Herangehen hält dem Vergleich mit den besten Konzepten der Gegenwart in Bezug auf globale Umweltprobleme stand.11 Unter den Ökologen ist Barry
Commoner unserer Kenntnis nach der einzige, der Marx in diesem Punkt
Gerechtigkeit widerfahren lässt (Commoner 1972). Dabei scheint der Begriff der rationellen Regulierung des gesell­schaftlichen Stoffwechsels von Mensch und Natur wie maßgeschneidert, um den Klima­wandel zu begreifen, d. h. die Störung des Kohlenstoffzyklus, Schulbeispiel für eine «ir­rationale Regelung des Stoffwechsels».

In Wirklichkeit ist Marx viel «ökologischer», als die meisten seiner Nachfolger denken. Unter ihnen sind John Bellamy Foster und Paul Burkett die Ausnahme: Für sie gehört die Ökologie sogar zum «Kern des Marxismus» (Foster 2000; Foster und Burkett 2004). Die­se beiden Autoren haben das große Verdienst, die «Ökologie von Marx» rehabilitiert zu haben, aber sie neigen dazu, den Bogen zu überspannen. Wenn die Ökologie tatsächlich zum Kern des Marxismus gehörte, müssten sie erklären, warum alle marxistischen Strö­mungen in den 1960er und 1970er Jahren ihr Rendezvouz mit der ökologischen Frage versäumt haben. Uns scheint es nutzlos, an dieser Stelle zu übertreiben: Das Konzept der «rationellen Regulierung des Austauschs Mensch–Natur» ist authentisch ökologisch, aber eine globale Vision in Bezug auf die ökologische Dimension der sozialistischen Transformation taucht bei Marx nur flüchtig und an entlegener Stelle auf. Darüber hin­aus beruht diese Vision auf einem ernsthaften Irrtum bezüglich der Energie.

Es ist frappierend, dass Marx und Engels in ihrer Analyse der
industriellen Revolution die enorme ökologische und ökonomische Bedeutung des
Übergangs von einem erneu­erbaren Brennstoff, dem Holz – Produkt der
photosynthetischen Umwandlung des Son­nenlichts –, zu einem gespeicherten
(vorrätigen) Brennstoff, der Kohle – Produkt der Fossilisierung dieses
Prozesses und folglich im historischen Zeitmaßstab nicht uner­schöpflich –,
überhaupt nicht verstanden haben. Dass wir uns nicht missverstehen: Die
Technologien sind in den Augen von Marx gesellschaftlich nicht neutral; er
unterschei­det klar vorindustrielle und industrielle, letztere in seinen Worten «spezifisch kapitalisti­sche», Technologien.12 Aber diese Unterscheidung fehlt für die Energiequellen, als könn­ten diese neutral sein. Es ist wahr, dass in Marx’ Zeit dieselbe Dampfmaschine ebensogut mit Holz wie mit Kohle betrieben werden konnte, sodass ihre unterschiedliche Bedeu­tung nicht offensichtlich war. Doch im Verlauf der kapitalistischen technologischen Ent­wicklung tritt sie zutage. Heute liegt sie auf der Hand: Wenn wir Wärmekraftwerke mit Kernkraftwerken vergleichen, ist offenkundig, dass verschiedene Energiequellen ver­schiedene Technologien implizieren und dass die Entscheidung nicht neutral ist. Ener­giequellen als neutral zu betrachten, wie es manche Parteien tun, die sich auf den Mar­xismus
berufen, aber die Kernkraft unterstützen, läuft deshalb darauf hinaus, sich in Wi­derspruch zu einer fundamentalen Prämisse des historischen Materialismus zu stellen: dem historisch und gesellschaftlich determinierten Charakter von
Technologien.

Per Definition ist Energie die Bedingung sine qua non jeder Arbeit, jeder menschlichen Tätigkeit. So gering er auch sein mag, muss ein Fehler auf dieser Ebene systemischen Charakter bekommen. Deshalb können wir sagen, dass die Energiefrage regelrecht ein trojanisches Pferd in der «Ökologie von Marx» und im Marxismus überhaupt ist, alle Strömungen zusammengenommen. Bei Marx selbst hat die fehlende Unterscheidung zwischen Fließenergie und Vorratsenergie nicht zu unmittelbaren Konsequenzen ge­führt: Sie stellt eine Art Grauzone dar. Aber dahinter verbirgt sich die faktische Koexis­tenz zweier Schemata:

Ein entwicklungszyklisches Schema: Ausgehend vom Problem des Bodens entwickelt Das Kapital die Grundlagen eines authentischen sozioökologischen Denkens um den Be­griff der Regulierung des Austauschs von Materie, also der rationellen Regelung der durch den menschlichen Einfluss modifizierten Naturkreisläufe. Die Vision ist zirkulär, aber nicht statisch: Die Menschheit transformiert die Natur, wobei sie im Rahmen des Möglichen den Austausch mit der Natur im Kreislauf hält.
Ein lineares Schema: Der auf den Boden angewandte zirkuläre Ansatz wird nicht auf den Bereich der Energie übertragen. Hier übernimmt Marx, weil er den Unterschied zwi­schen Fließenergie und Vorratsenergie nicht sieht, de facto das utilitaristische Schema (Ressource – Verbrauch – Abfall [CO2]), welches das der klassischen Ökonomie ist. Der menschliche Einfluss wird nicht beherrscht, weil die Bedingungen des Kohlenstoffkreis­laufs nicht berücksichtigt werden.
Diese beiden Schemata gehorchen jedoch zwei verschiedenen Logiken: Das erste zielt auf einen vorsichtigen Eingriff in das Naturgeschehen («Nutznießer der Erde als gute Fa­milienväter», wie Marx im Kapital sagt (Marx 1894: 784); das zweite trägt in sich die pro­duktivistische Zweideutigkeit («das Wachstum der Produktivkräfte», befreit von den «kapitalistischen Fesseln der Entwicklung»). Zwischen diesen beiden
gibt es mehr als nur einen Widerspruch: einen Antagonismus. Damit das System
kohärent ist, muss eine der beiden Logiken der anderen unbedingt weichen. Die
Ökologisierung des Marxismus kann deshalb nicht einfach als erstaunte
Wiederentdeckung der «Ökologie von Marx» durchgehen, zu der uns Foster einlädt. Die Klärung ist im Kern des Marxismus selbst er­forderlich: Wir müssen das trojanische Pferd, die Nichtunterscheidung von Fließ- und Vorratsenergie, ins Tageslicht rücken und das damit zusammenhängende lineare Schema Ressource – Produkt – Abfall, verlassen.

Die ökologischen Zweideutigkeiten bei Marx erklären bei weitem nicht alle Schwie­rigkeiten des Marxismus, oder derer, die sich auf ihn berufen, mit der ökologischen Fra­ge. Es wäre zum Beispiel absurd, die Energiepolitik der stalinistischen Regime den Zwei­deutigkeiten von Marx zuzuschreiben. Ebenso wäre es ungerecht, ihm zuzuschreiben, dass die organisierte Arbeiterbewegung unter sozialdemokratischer Führung zugelassen hat, dass das Kapital die «andere Quelle alles Reichtums», die Natur, nach Belieben schä­digt. Aber wir würden uns noch stärker irren, wenn wir der Meinung wären, Marx’ Irr­tum habe keinen Einfluss auf das versäumte Rendezvous zwischen den Marxismen und der Ökologie gehabt. Wenn wir uns die intellektuelle Produktion von Marxisten im

20. Jahrhundert anschauen, stellen wir fest, dass der Antagonismus zwischen den beiden Logiken in der Praxis durch das völlige Verschwinden der ersten Logik gelöst wurde. Sehr rasch, geräuschlos und ohne Debatte, hat sich das lineare Schema als exklusives Modell etabliert. Die kühne, revolutionäre Vorwegnahme bezüglich des «gesellschaftlichen Stoffwechsels» fiel dem Vergessen anheim, zweifellos umso leichter, als das Problem des Bodens durch die Erfindung der Düngemittel gelöst zu sein schien. Es scheint uns, dass dieses Verschwinden auch die Verwirrung der Marxisten erklärt, als die ökologische Fra­ge in den 1960er Jahren auftauchte. Mandel stellt dafür ein schlagendes Beispiel dar: Als versierter Marxist kannte er das Marx’sche Konzept des «gesellschaftlichen Stoffwech­sels», aber er sah nicht, was daraus in der Debatte über das «Nullwachstum», die der Mansholt-Bericht lanciert hatte, zu machen war (Mandel 1972).

Die einzige mögliche Freiheit
Umso mehr erfordert die Ökologisierung des Marxismus viel mehr als nur die «Integra­tion» ökologischer Fragen in den antikapitalistischen Kampf. Es reicht nicht, besser zu verstehen, worum es bei der Ökologie geht, ökologische Forderungen zu entwickeln und sich an den Mobilisierungen zur Verteidigung der Umwelt zu beteiligen. All dies ist natürlich wünschenswert, aber das ist nicht die wirkliche Frage. Dieser Reflexionsrah­men ist zu eng. Der Klimawandel verweist deutlich auf die Notwendigkeit, da raus zu kommen. Die Erwärmung ist tatsächlich nicht allein ein Umweltproblem, sondern eine globale Herausforderung. Von allen Umweltphänomenen ist es dasjenige, das uns am deutlichsten zeigt: Die Menschheit von heute produziert nicht mehr nur ihre soziale Exi­stenz, sie produziert gleichzeitig auch die Natur, die diese Existenz umschließt und be­dingt, und zwar im planetarischen Maßstab. Daher muss ein antikapitalistisches Pro­gramm, das diesen Namen verdient, den Ausgebeuteten und Unterdrückten erlauben, nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Natur zu bestimmen, die sie für sich und ih­re Kinder wollen. Angesichts des Verhältnisses zwischen diesen beiden Aspekten besteht die wahre Herausforderung nicht darin, die Ökologie in den Sozialismus, sondern den Sozialismus in die Ökologie zu integrieren. Die Formel ist bewusst provozierend. Wir lei­ten daraus vier Implikationen, die nicht mehr als Arbeitshypothesen sind, ab.

Erstens muss der Begriff der «Herrschaft des Menschen über die Natur» aufgegeben werden. Die Komplexität, die Unbekannten und der evolutive Charakter der Biosphäre implizieren einen nicht reduzierbaren Grad an Ungewissheit. Das Ineinandergreifen von Gesellschaft und Umwelt muss als ein Prozess ständiger Bewegung gedacht werden, als Naturproduktion. Der von nun an einzig real mögliche Sozialismus ist derjenige, der die realen menschlichen Bedürfnisse (befreit von ihrer Entfremdung durch den Markt) be­friedigt, demokratisch bestimmt durch die Interessierten selbst, während gleichzeitig Sorgfalt darauf verwandt wird, den Einfluss dieser Bedürfnisse und der Art ihrer Befrie­digung auf die Umwelt zu untersuchen.

Zweitens muss die abgeschlossene, utilitaristische und lineare Vorstellung von der Na­tur als physische Plattform, von der aus die Menschheit operiert, als Vorratskammer, aus der sie die notwendigen Ressourcen für die Produktion ihrer gesellschaftlichen Existenz entnimmt, und als Abladeplatz, wohin sie die Abfälle dieser Aktivität lagert, überwun­den werden. Die Natur ist zugleich Plattform, Magazin, Müllkippe und die Gesamtheit der Lebensprozesse, die, dank des externen Beitrags der Sonnenenergie, die Materie zwi­schen diesen Polen kreisen lässt und sie dabei ständig reorganisiert. Der Abfall und die Art seiner Lagerung muss also qualitativ wie quantitativ mit Kapazität und Rhythmus des Recyclings durch die Ökosysteme vereinbar sein, damit das gute Funktionieren der Bio­sphäre nicht geschädigt wird. Dieses Funktionieren hängt von der Anzahl und Diversität der biologischen Agenten sowie von der Qualität und der Komplexität multipler Bezie­hungsketten ab, die sie verbinden; das Gleichgewicht zwischen diesen Strömen bestimmt letzten Endes die Versorgung der Menschheit mit Ressourcen.

Drittens sind die Energiequellen und die Methoden, die zur Befriedigung der mensch­lichen Bedürfnisse angewandt werden, nicht neutral. Der Sozialismus kann folglich nicht, wie bei Lenin, als «Sowjets plus Elektrifizierung» definiert werden. Davon zeugt die Geschichte des Klimawandels und seiner Ursachen: Eine Produktionsweise ist nicht al­lein durch die Produktions- und Eigentumsverhältnisse gekennzeichnet, sondern auch durch die Technologie, die sich nach der Wahl der Energiequelle richtet. Das kapitalisti­sche Energiesystem ist zentralisiert, anarchisch, verschwenderisch, ineffizient, intensiv in toter Arbeit, es gründet sich auf nicht erneuerbare Quellen und orientiert auf die ten­denzielle Überproduktion von Waren. Eine sozialistische Transformation, die diesen Na­men verdient, erfordert seine Abschaffung und sukzessive Ersetzung durch ein dezentra­lisiertes, planvolles, sparsames, effizientes, an lebendiger Arbeit intensives System, das ausschließlich auf erneuerbaren Quellen basiert und auf die Produktion dauerhafter, re­ziklierbarer und wieder verwendbarer Gebrauchswerte orientiert. Das betrifft nicht nur die Energie»produktion» im engeren Sinne, sondern die Gesamtheit des industriellen Apparats, die Landwirtschaft, den Verkehr, die Freizeitgestaltung, die Raumordnung. Diese historische Umwälzung ist ein tiefer Eingriff; sie wird in einem Land oder in einer Gruppe von Ländern anfangen, sich aber nur im Weltmaßstab entfalten und vollenden können, denn sie postuliert die Energieautonomie, besonders die Nahrungsmittelauto­nomie verschiedener Länder und Ländergruppen. Das ist nicht das Ende der menschli­chen Entwicklung, sondern erfordert einen bedeutenden Fortschritt von Wissenschaft und Technik und auch die soziale Fähigkeit, ihn demokratisch umzusetzen.

Viertens folgt aus dem oben Gesagten, dass ein kritischer Blick auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität geworfen werden muss. Tatsächlich ist ihr fantastischer Anstieg das Resultat eines «destruktiven Fortschritts» von Wissenschaft und Technik, die dazu ge­nutzt werden, ein unhaltbares Energiesystem vollkommener zu machen (Löwy 2004). In manchen Bereichen wird eine antikapitalistische Alternative, die ökologische Gleichge­wichte respektiert, zumindest in der ersten Zeit einen Rückgang der Mechanisierung und die Ersetzung toter durch lebendige Arbeit erfordern. Das ist so in der Landwirtschaft, wo ein extrem mechanisiertes Agrobusiness, das viele Inputs und fossile Energie ver­braucht, einer anderen Weise der Bewirtschaftung weichen muss, die mehr menschliche Arbeitskraft verwendet. Ähnliches trifft auf den Energiesektor zu, denn eine auf erneu­erbarer Energie beruhende, dezentralisierte Produktion erfordert viel Arbeit, insbeson­dere Wartung. In einer ganzen Reihe von Umweltbereichen wird die Menge an lebendi­ger Arbeit zunehmen. Eine Parallele ergibt sich womöglich mit Bereichen wie Pflege und Bildung oder anderen, in denen die Linke den Ausbau öffentlicher Beschäftigung für selbstverständlich hält: Menschliche Intelligenz und Emotion, gepaart mit einer Kultur des «Kümmerns», sind tatsächlich in allen Bereichen nötig, die unmittelbar mit der Re­gelung und Interaktion mit der Biosphäre zu tun haben.

Etwa fünfzehn Jahre, nachdem Francis Fukuyama einseitig das «Ende der Geschichte» erklärt hat, ist ein antikapitalistischer Ausweg mehr denn je nötig. Er kann nur sozialis­tischer und antiproduktivistischer Art sein, denn es geht darum, gleichzeitig auf den so­zialen wie auf den ökologischen Notstand zu antworten. Der Begriff des Ökosozialismus antwortet auf dieses beispiellose doppelte Erfordernis (Kovel und Löwy 2002). Er ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Er fügt sich ein in das, was Marx über den «gesell­schaftlichen Stoffwechsel» entwickelt hat, vertieft es und zieht daraus neue Schlussfolge­rungen bezüglich der Forderungen, der Aufgaben und des Programms. Er greift die ethi­sche Fackel des englischen sozialistischen Künstlers William Morris wieder auf: Er pran­gerte die «schockierende Dummheit» eines Systems an, «das heute bereit ist, uns alle da­hin zu bringen, dass wir ‹im Namen des Lebens auch noch die Gründe zu leben zerstö­ren›» (Morris 1884). Doch Ökosozialismus ist etwas völlig anderes als ein neues Etikett auf einer alten Flasche: Er ist eine Dringlichkeit, eine Baustelle und eine Herausforde­rung, die es in der Zusammenführung der Kämpfe anzunehmen gilt. Die einzig mögli­che Freiheit ist die rationelle Regelung des Stoffwechsels zwischen Menschheit und Na­tur durch die assoziierten Produzenten… im vorsichtigen Respekt vor der Komplexität der Natur. Der einzig mögliche
Sozialismus ist ein Ökosozialismus. Konzentrierter Aus­druck der von nun an
untrennbaren Kämpfe gegen die Ausbeutung der menschlichen Arbeit und gegen die Zerstörung der natürlichen Ressourcen durch den Kapitalismus, er­gibt sich der Ökosozialismus nicht aus einer idealistischen Vision über die zu errichten­de Harmonie zwischen Mensch und Natur, sondern aus der Überzeugung, dass der wah­re Reichtum in schöpferischer Tätigkeit, freier Zeit, sozialen Beziehungen und dem stau­nenden Begreifen der Welt besteht.

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Kommentare
  • max hoelz
    17.07.2022 14:11

    Anmerkungen

    Der vorliegende Artikel entspricht der gekürzten Fassung des letzten Kapitels des Buches L’impossible capitalisme vert von Daniel Tanuro, erschienen 2010 bei La Découverte, Paris. Die Zwischentitel stammen von uns. (Übersetzung aus dem Französischen: Angela Klein und Hans-Günter Mull.)

    Dieser Punkt impliziert, dass die Technologie neutral und unabhängig von den Produktionsverhältnissen ist, was Hans Jonas paradoxerweise in die Nähe der Theoretiker des «realen Sozialismus» bringt.
    Für eine Kritik dieser abenteuerlichen Theorie siehe Tanuro (2007a).
    Das war beispielsweise der Fall bei Jacques Grinevald anlässlich einer Debatte mit dem Autor in Genf (Gri­nevald und Tanuro 2009).
    Zahlen des Carbon Dyoxid Information Center.
    Das schlechte Gewissen, über das Marx hier ironisiert, illustriert ganz gut, wie die Begeisterung für die Theo­rien eines Jonas oder anderen mit einer Phase des Kapitalismus zusammenfällt, in der das System zum Teil durch den aberwitzigsten Luxuskonsum zusammengehalten wird. Von daher erklärt sich auch, unter besser verdien­enden Schichten der Bevölkerung, der Erfolg von Waren, die ein gutes Gewissen verbreiten: wie u. a. Hybrid­autos, Sonnenkollektoren.
    Hier folgt im Originaltext eine längere kritische Auseinandersetzung mit dem spezifischen Hyperprodukti­vismus und der Umweltzerstörung in der UdSSR und ihrer Satelitenstaaten. Tanuro erklärt warum die UdSSR das Gegenteil einer sozialistischen Perspektive verkörperte.
    Diese Verirrung blieb gewissen seiner ehemaligen Freunde nicht verborgen. Siehe Les Cahiers de l’IEESDS,
    Siehe die interessante Kritik der thermodynamischen Konzepte dieses Autors von Pierre Gillis und Grégoi­re Wallenborn (2007).
    Marx behauptet kategorisch, dass jede menschliche Entwicklung unvermeidlich von zwei Schranken begrenzt ist: «Die Fruchtbarkeit der Natur bildet hier eine Grenze, einen Ausgangspunkt, eine Basis. Andrerseits bildet die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft ihrer Arbeit die andre.» (Marx 1894: 647f.)
    Marx erwähnt den Welthandel mit Pflanzenfasern als eine der Ursachen der Verarmung der Böden im Ka­pitalismus. Er zieht daraus nicht die Schlussfolgerung einer notwendigen partiellen räumlichen Reorganisati­on der landwirtschaftlichen Produktion, aber diese stimmt ziemlich überein mit seiner Kritik der Trennung von Stadt und Land.
    Es ist der Gaia-Hypothese von James Lovelock überlegen, der, was auch immer ihre «starke» oder «schwa­che» Form ist, die die gesellschaftliche Produktionsweise nicht berücksichtigt.
    Während er an das Geschick der embryonalen Lohnarbeiterklasse vor der industriellen Revolution erin­nert, bemerkt Marx: «Die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital war nur formell, d. h. die Produktions­weise selbst besaß noch keinen spezifisch kapitalistischen Charakter» (Marx 1867: 766).
    Literatur

    Aries, Paul (2008): Pour un rationnement désirable, La Décroissance (50), juin.

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    Hardin, Garret (1968): The tragedy of the commons, Science 162:
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    Jonas, Hans (2005): Le Principe responsabilité. Paris: Flammarion. Kempf, Hervé (2009): Pour sauver la planète, sortez du capitalisme. Paris: Seuil.

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    Tanuro, Daniel (2007b): Marx, Mandel et les limites naturelles, Contretemps
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