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Die ideelle Gesamtwutbürgerin >> Sahra Wagenknecht, die Krisen und die Zerfallserscheinungen der LINKEN von n Alban Werner

18.10.2022 02:59

Die ideelle Gesamtwutbürgerin
Sahra Wagenknecht, die Krisen und die Zerfallserscheinungen der LINKEN
von n Alban Werner
Sozialismus.de Heft 10-2022 13




Lost in transformation:


Eine gelähmte DIE LINKE
Nicht zum ersten Mal steht Sahra Wagenknecht, frühere Fraktionsvorsitzende der LINKEN, im Zentrum eines
nervenaufreibenden innerparteilichen Streits. Stein des Anstoßes wurde eine Rede Wagenknechts in der Haushaltsdebatte während der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach seiner Sommerpause. Kritiker*innen warfen ihr Putinfreundliche Rhetorik und den Applaus
aus der AfD-Fraktion für ihren Auftritt vor. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV), erklärte kurz darauf mit Verweis auf Wagenknechts Rede seinen Austritt aus der Partei. Der Austritt des früheren Hamburger LINKEN-Bundestagsabgeordneten und vormalige Mitarbeiter Wagenknechts, Fabio de Masi, folgte bald darauf, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen.

Sahra Wagenknecht steht nicht zufällig und nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt eines Streits, dessen Heftigkeit infrage stellt, ob und in welcher Form DIE LINKE noch eine Zukunft hat.
Die existenzbedrohliche Lage der LINKEN hat zwei Wurzeln, sie ist ebenso fremd-, wie selbstverschuldet.

Fremdverschuldet ist sie insofern, als dass sie das Glück verlassen hat. Als die Partei zunächst als Vereinigungsprodukt
von PDS und WASG entstand, waren hinreichend viele Menschen in Deutschland enttäuscht genug von der Politikdes Sozialabbaus, der militärischen Interventionen, der autoritären »Basta«- Politik innerhalb der Parteien und frustriert von der Rhetorik der Alternativlosigkeit in der Gesellschaft, um bei Wahlen eine linke Protestformation zu unterstützen. Heute jedoch ist die Abkehr vom neoliberalen Sozialabbau im politischen Mainstream deutlich genug, dass eine eigenständige Partei links von SPD und Bündnisgrünen weit weniger
dringlich erscheint. Zudem hatte sich die geopolitische Konstellation bereits vor Beginn des Kriegs gegen die Ukraine deutlich verschoben, und wurden Energie und Aufmerksamkeit für politischen Protest durch klimapolitische Anliegen einerseits und durch eine verschwörungsideologische und populistische radikale Rechte andererseits aufgesaugt.
Schließlich sind demokratiepolitisch höhere Ansprüche heute bis hinein in die CDU durchsetzbar, die mittels Urabstimmung über ihren neuen Parteivorsitzenden entschied.

Selbstverschuldet ist die Lage der LINKEN insofern, als all diese Entwicklungen nicht über Nacht eintraten, sondern sich durchaus über der Wahrnehmbarkeitsschwelle entwickelten und dabei auch wichtige Signalereignisse zu Wegmarken hatten. Man denke an die
völkerrechtswidrige Annexion der Ukraine 2014. In deren Schatten entstand ein verschwörungsideologisch ansprechbarer Bewegungssektor mit eigener Teilöffentlichkeit in Deutschland. Hinzu kam die Konsolidierung und zunehmende Radikalisierung der AfD im Gefolge der Flüchtlingskrise u.v.a.

DIE LINKE versäumte es, sich rechtzeitig auf dieses mitunter epochal veränderte politische Terrain einzustellen.
Wie die vormaligen Volksparteien CDU/ CSU und SPD stand sie nach der Bundestagswahl 2017 zunächst unter dem
Eindruck, wenn vielleicht auch unter erhöhtem Einigungsaufwand, so doch unterm Strich so weitermachen zu können
wie bisher.
Die politische Hochkonjunktur des radikalen Rechtspopulismus seit der Bekanntgabe von Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur 2015 zeitigte paradoxe Folgen. Haarsträubende geopolitische Fehlgriffe, Untätigkeit im Hinblick auf soziale Ungleichheiten, unbestreitbar gewordene Aspekte rassistischer Diskriminierung, unzureichende Klimapolitik im Lichte des 1,5 Grad-Ziels sowie schlechtes Corona-Krisenmanagement konnten mit Trump, Bolsonaro, Orbán und ihresgleichen identifiziert werden. Die Schwierigkeiten sowohl der Regierung Joe Bidens, als auch der Ampel-Regierung in Deutschland haben jedoch deutlich
werden lassen, dass ein nicht zu knapper Anteil der Struktur- und Durchsetzungsprobleme Politik aus jedweder Richtung befällt und nicht einfach auf rechtspopulistische Betriebsunfälle zurückgeführt werden kann. Der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen haben diese Ernüchterung vor allem in Deutschland nochmals verschärft.
Sahra Wagenknecht ist selbst Symbol und Projektionsfläche für viele gesellschaftliche Widersprüche und Spannungen, die sich im Verlauf der genannten Entwicklungen angehäuft haben. Die Entladung dieser Widersprüche scheint heute DIE LINKE zu lähmen, statt ihr
wie in den Nuller Jahren Wind in die Segel zu blasen.

Wagenknechts derzeitiger Erfolg ist erklärungsbedürftig, ereilte sie eine wichtige Ernüchterungserfahrung doch bereits vor dem politischen Mainstream. Ihr »Aufstehen« genannter Versuch, eine Bewegung »von oben« zu erzeugen, die die klassisch gedachte soziale
Frage in den Mittelpunkt stellen sollte, scheiterte bereits nach kurzer Laufzeit kläglich. Neben organisatorischen und
personellen Querelen spielte dabei sicherlich eine Rolle, dass eben jene sozial Benachteiligten sowie an sozialer
Gerechtigkeit interessierten Niedrigund Durchschnittsverdienenden, die dadurch in erster Linie angesprochen werden sollten, dadurch kaum mobilisiert wurden. Obwohl also Wagenknechts ambitionierteses Vorhaben misslang, kristallisiert sich heute an ihr wieder ein
gesellschaftlicher Richtungskonflikt. Gewissermaßen hatte sie die grobe Linie ihrer Haushaltsrede schon durch einen polemischen Tweet gegen die Bündnisgrünen vom 1. August vorbereitet. Mindestens vier Anhaltspunkte können begreiflich machen, warum sich an
Wagenknecht ein Streit entzündet: ihr Status als gern aufgerufene Medienintellektuelle, der Charakter ihrer Wortmeldungen in den gesellschaftspolitischen Konjunkturen der vergangenen Jahre, Eigenschaften des Publikums der Politik in der Gegenwart und schließlich
Leerstellen der politischen Linken. Wagenknecht als Medienintellektuelle der Null-Ambivalenz Zwei Tendenzen gegenwärtiger Entwicklung von Intellektualität verdichten sich bei Sahra Wagenknecht. Grundsätzlich entsteht in bürgerlichen Gesellschaften die Nachfrage nach einer Intelligenz oder in die breitere Öffentlichkeit kommunizierender Expertise dadurch, dass unser Leben immer stärker abhängig wird von anonymen und abstrakten Verflechtungen, großen technischen Systemen und Rückwirkungen der Produktionsverhältnisse auf Gesellschaft
und Natur; dass die Verhältnisse sich an vielen Stellen mitunter abrupt wandeln, an anderer Stelle jedoch unerträglich
zäh und träge erscheinen; dass schließlich die Ursachen vieler Veränderungen unseren individuellen Erfahrungshorizont übersteigen.
Auf dieser Folie besteht die Leistung der Intelligenz darin, »durch die Hervorbringung religiöser, ästhetischer und wissenschaftlicher
Lebensdeutungen oder zur Schaffung der theoretischen Voraussetzungen für die Rationalisierung des Daseins durch
die Anwendung theoretischen Wissens auf die Lebensbewältigung« zur Sinnstiftung und Alltagsbewältigung beizutragen. Intellektuelle gehen allerdings über das Deutungsangebot hinaus. »Die Erfolgsaussicht ihres Tuns liegt [...] in den Folgen ihres Redens und Schreibens, in der Störung des normalen Ablaufs der Dinge, die ihr Tun bewirkt. Das impliziert, dass ihre Appelle bemerkt werden, dass sie sich an eine Öffentlichkeit wenden. Intellektuelle sind, soziologisch gesehen, also nicht Leute mit irgendwelchen persönlichen Eigenschaften, sondern Leute, die etwas Bestimmtes tun. Was sie treiben, ist Kritik. Kritik ist der Beruf des Intellektuellen.«
Die erste Tendenz, die sich bei Wagenknecht verdichtet, ist der deutliche Trend hin zum »Medienintellektuellen«. Sicherlich habenIntellektuelle ihre Kritik immer in den ihnen verfügbaren Massenmedien vorgetragen: von
Emile Zolas berühmtem offenen Brief
»J‘accuse!« in der Zeitung ›Aurore‹, über Thomas Manns via BBC aus Großbritannien gesendete Radio-Ansprachen
»Deutsche Hörer« gegen das NS-Regime, über Milton Friedmans zehnteilige TV-Reihe »Free to choose« bis hin heutigen politischen Podcastern. Auch das Element der Selbstinszenierung, das Wagenknecht stilsicher beherrscht, ist darin nicht neu.
Das Medium wurde von Intellektuellen seit jeher danach ausgewählt, den richtigen Angriffsvektor für ihre Provokationen und Aufmerksamkeit erheischenden Intervention zu finden. Neu daran ist vielmehr eine Selektion in umgekehrter Richtung:
Intellektuelle mögen Medien auswählen, aber mindestens im gleichen Umfang selektiert das Medium sich die jeweils passenden Intellektuellen.
»Die Medienintellektuellen werden zu einem bestimmten Thema eingeladen, um
den Unterhaltungswert der Sendung zu
steigern. Der Intellektuelle mutiert dadurch vom sich zum Engagement berufen fühlenden Denker zum von den Medien ›Gerufenen‹. Er versucht nicht, für ein dringendes politisches Anliegen ein geeignetes Publikum zu erreichen, sondern er erhält Anfragen, ob er zu einem
bestimmten Thema reden möchte.«

Wagenknecht ist dabei nicht irgendeine linke Dissidentin. Was sie über diesen Status hinaus für die Medien interessant macht, verdichtet eine zweite Entwicklung von Intellektualität. Bei den lesenden Ständen in Deutschland
sind Zeit- und Gesellschaftsdiagnosen als Genre schon lange sehr erfolgreich. In Nachfolge der Kulturkritik diagnostizieren sie in der Gegenwart Fehlentwicklungen. Sie versuchen weiterhin, »empirische Phänomene sozialen Wandels in verschiedenen Gesellschaftsbereichen auf ein Strukturprinzip oder eine Logik« zurückzuführen und die Gegenwart als einen neuen Abschnitt innerhalb der Moderne herauszustellen, der sich durch bestimmte Merkmale qualitativ von vorherigen Phasen unterscheide.
Typischerweise vermeiden diese Diagnosen – dabei sicherlich ein bildungsbürgerliches Lesepublikum vor Augen – jedoch klare Ansagen nach einem Schuldigen für die als nachteilig registrierten Veränderungen, ebenso wie
nach dem anvisierten Subjekt oder Träger für politische Aktion, die das Kritikwürdige der Gegenwart wieder geraderücken sollte.
In Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten« (2021) kulminierte

aber nun eine Logik, die bereits andere Zeitdiagnostiker*innen und Soziolog*innen wie Nancy Fraser mit
Sozialfiguren vom »progressiven Neoliberalismus« oder den »kosmopolitischen Eliten« losgetreten hatten. Waren
die problematisierten Verhältnisse in den populären Zeitdiagnosen im Gefolge von Ulrich Becks »Risikogesellschaft«
noch Aggregate unbeabsichtigter Handlungsfolgen, von ungeplanten Unfällen, Krisen oder langsamen, lange »latenten« sozialstrukturellen Veränderungen, ließ sich nun die kritisierte Entwicklung
– sprich: der Erfolg des Rechtspopulismus als Folge verschärfter Ungleichheit und der Niedergang der politischen Linken – einer Verfallsgesellschichte der Linken zuschreiben, die ganz konkrete Protagonisten hatte. Bei Ulrich Beck war Not hierarchisch und Smog demokratisch, sprich die Bedrohung traf tendenziell alle ähnlich. Für Wagenknecht
& Co hingegen gibt es Gewinner und Verlierer von weltwirtschaftlicher Verflechtung, Europäisierung und kultureller Öffnung, und Wahlentscheidungen, so die These, ließen sich auf diese Scheidelinie zurückführen. Breiteten die früheren Zeit- und Gesellschaftsdiagnosen noch ein Panorama von Ambivalenzen, Dilemmata, Zielkonflikten oder schlechthin politisch unzugänglichen
Master-Trends aus, propagierte Wagenknecht eine Vision der Eindeutigkeit. Wer dieser zustimmte, musste folgerichtig aus dem Ausbleiben einer starken linken Antwort auf die Verkommenheit des linken Personals schließen.

Wagenknecht als Stichwortgeberin bei Reizthemen Der beachtliche Erfolg Wagenknechts als öffentlich wahrnehmbarer Oppositionsstimme der Bundespolitik stellte DIE LINKE bereits lange vor ihrer jüngsten Haushaltsrede unter inneren Stress. Wagenknechts spontaner Anklang bei sozialstrukturell breiter gestreuten Zuhörerschaften, ihre nicht
zu leugnende Eignung als Projektionsfläche für Menschen aus einem bisweilen heterogenen politischen Spektrum
ist auch ein genuin demokratisches Moment. Zugleich verstanden sie und ihre parteiinterne Anhängerschaft es immer wieder, diese Beliebtheit als Druckmittel gegen die demokratische Meinungsbildung und die Gepflogenheiten innerhalb der Partei einzusetzen. So
geschehen etwa Anfang 2021, als der nordrhein-westfälische Landesvorstand der LINKEN gegen alle vorherigen Prozeduren eine Empfehlung für Sahra Wagenknecht auf dem ersten Listenplatz zur Bundestagswahl aussprach, was eine
bis heute nachwirkende, erbitterte Auseinandersetzung im größten Landesverband der Partei zur Folge hatte.
Bei Wagenknecht scheint eine für ihre Partei besonders schmerzhafte Variante des Matthäus-Effekts zu wirken,
wonach Bekanntheit noch größere Bekanntheit gebiert.
Ähnlich wie einstmals Gerhard Schröder und Joschka Fischer in den 1990er Jahren scheint es Wagenknecht zu gelingen, ihren Aufmerksamkeitswert gerade durch provokative Abgrenzung von der eigenen Partei, durch bewusste oder in Kauf genommene öffentlich Missachtung beschlossener Parteipositionen, durch selbstverständliche Inanspruchnahm einer folgenlosen Narrenfreiheit zu steigern. Die Folgenlosigkeit wiederum verdankt sie der an Personenkult reichenden Loyalität ihrer parteiinternen Anhängerschaft, die durch fast nichts
erschütterbar scheint. Im Unterschied zu Schröder und Fischer stand jedoch bei Wagenknecht nie ernsthaft in Aussicht, dass sich ihr Vorgehen durch Anteile an politischer Regierungsmacht auszahlen werde. Dass sie, trotz machtpolitischer Aussichtslosigkeit, bereits lang vor ihrem jüngsten Buch und auch unabhängig von ihrer zeitweisen Funktion als Fraktionsvorsitzende öffentliches Gehör fand,
verdankte sich der wiederkehrenden Gelegenheit, in der Ära Merkel ein politisches Vakuum auf ihre ganz eigensinnige Art zu füllen.
Politisch zeichnete sich die Entwicklung in Deutschland seit der globalen Finanzkrise dadurch aus, politische Richtungsfragen und als solche
erkannte Strukturprobleme zwischen den Parteien und Großorganisationendes akzeptierten politischen Spektrums deutlich unterhalb der Konfliktschwelle abzuräumen und kleinzuarbeiten. In diesem Gleichgewicht der Angriffshemmungen lagen dann aber unvermeidlich
Reizthemen in der Luft. Diese, wie etwa verschiedene Aspekte der Eurokrise, der Einwanderung, oder die Bewältigung der Corona-Pandemie waren, wie wohl nicht allzu kontrovers in der parteipolitischen Arena (mit Ausnahme der AfD) ausgetragen, ja niemals unterdrückt,
sondern in Alltagsgesprächen, bei Zeitungslektüre, in Wortmeldungen bestimmter Expert*innen u.ä. präsent. Diese Konstellation wurde zur Gelegenheit für Sahra Wagenknecht. Es herrschte ein Vakuum oder zumindest eine Lücke hinsichtlich der Frage, wie
eigentlich bestimmte Akteur*innen in der Eurokrise einzuordnen und zu beurteilen waren, und gegen wen als Krisenverantwortlichen richtigerweise moralische Empörung gerichtet werden konnte. Eine Lücke herrschte zu der Frage, wie abgesehen von der Ablehnung einer
»Festung Europa« und des »Asylkompromiss« von 1993 Einwanderung zu regeln sei. Wagenknecht bediente diese Frage, indem sie sich über die Formelkompromisse ihrer Partei hinwegsetzte, die wenig Aufmerksamkeit generierten, und jeweils eine Lösung anbot, welche die klassischen politischen Lager überbrückte, zugleich ein breites politisches
Spektrum provozierte sowie dabei die spontanen Urteile und Vor-Urteile aus der Bevölkerung aufgriff und damit intellektuell-politisch »weihte

: »Endlich sagt‘s mal einer!«
Wagenknecht war als öffentliche Figur dabei von linker Warte aus mindestens ambivalent zu beurteilen, gerade weil sie ähnlich wie in ihren Schriften auch in ihrer Ansprache jegliche Ambivalenz, Abwägungen und Trade Offs auslöschte. Wagenknecht bildete praktisch das Spiegelbild des Merkelismus. Für das Publikum war sie gerade faszinierend, weil man sich an ihr noch stoßen und stören konnte, weil sie in einer
selbst-gezähmten Öffentlichkeit einen unverschämten Impetus der moralischen und politischen Eindeutigkeit vertrat. Dazu überführte sie, symbolisch aufgewertet durch ihren Status als unbeirrbare Klartext-Rednerin, im Feld der Reizthemen durchaus komplexe Fragestellungen mit vielen Fallstricken, Ungewissheiten und abstrakten Orientierungsgrößen in konkrete Gegensatzpaare, die lager- und Milieu-übergreifend Feindbilder bedienten: die verwerfliche Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank gegen die Kleinsparer, die Politik der Banken- und Staatenrettungen zum unbedingten Erhalt des Euro gegen Ludwig Erhard’schen Ordoliberalismus, die ungezügelte Einwanderung gegen die hiesige Ordnung, und jüngst der »wahnsinnige« Krieg oder »Wirtschaftskrieg« der Bündnisgrünen gegen Russland zulasten »unserer Wirtschaft«.

Wagenknechts Haushaltsrede als
Ausbruchsversuch?

Interessant an Wagenknechts Rede ist, dass sie zu erheblichen Anteilen mit den Kritikpunkten ihrer Partei und Bundestagsfraktion übereinstimmt. Bereits im Vorfeld hatte sie sich die Zusage abringen lassen, in der Rede auf die Forderung nach Öffnung der Erdgaspipeline Nordstream 2 zwischen Russland und Deutschland zu verzichten. Konform mit den Punkten der LINKEN – und vermutlich mit einem Großteil derBevölkerung – waren ihre Kritik an den Gewinnen der Mineralölkonzerne und Stromerzeuger, ihr Verweis auf andernorts in Europa bereits verabschiedete Übergewinnsteuern und Energiepreisdeckel, ihre Warnung vor einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe, die Angst der Menschen vor krassen Preissteigerungen bei Lebenshaltungskosten, Arbeitsplatzverlust, und schließlich die Kritik an der Gasumlage, der sich selbst bürgerliche Stimmen zwischenzeitlich hörbar angeschlossen hatten. Was Wagenknechts Rede zum Politikum und Spaltpilz machte, einen Aufruf zu ihrem Ausschluss aus der Fraktion, zum Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden sowie einen Gegen-Aufruf zugunsten der Rednerin zur Folge hatte, war die Verknüpfung ihrer Kritikpunkte mit dem Hauptmotiv, die Einstellung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu fordern. Diese Forderung bewegte sich rhetorisch in der Nähe einer Täter-Opfer-Umkehr, da die Sanktionen
eine supranational abgestimmte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Einstellung der russischen Gaslieferungen wiederum eine Vergeltungsaktion gegen diese Sanktionen darstellen. In der LINKEN wurden gegen die Rede schnell die stereotypen Vorwürfe des Nationalismus und der
»Querfront«-Agitation erhoben. Plausibler sind jedoch drei andere Kritikpunkte am Signal, das die Wagenknecht-Rede als kalkulierte Provokation erzeugte. Erstens wiederholt sich in Gefolge auf Wagenknechts Rede ein Muster, das bereits bei ihren früheren Provokationen auftrat: In Reaktion auf ihre Interventionen, verstärkt durch die unverbrüchliche Loyalität ihrer Anhängerschaft, polarisiert sich das Spektrum der hörbaren Positionen vor allem in zwei Lager: »Bist Du für oder gegen Wagenknecht?« Das erschwerte bereits in der
Eurokrise, in der Migrationsfrage, bezogen auf den Klimaschutz oder die Be- wältigung der Corona-Pandemie einenüchterne Debatte um die überzeugendste linke Option, und dies wiederum die Vertretung der linken Option inder breiteren Öffentlichkeit. Eine nüchtern abwägende Debatte wäre auch hinsichtlich der Nebenfolgen der Sanktionen gegen Russland legitim. Zumindest ist es nicht verwerflich, offen
auszusprechen, dass die Sanktionen zunächst Wohlfahrtsverluste bei den Sanktionierenden wie auch bei den Sanktionierten bedeuten. Allerdings löschen Wagenknecht und ihre Anhängerschaftauch hier wiederum die dilemmatischen Aspekte aus, weil sie dazu schweigen, wie in Abwesenheit einer Bewaffnung der Ukraine von Sanktionen gegen Putins Russland – zumal nach der am 21.9. verkündeten Teilmobilmachung und angekündigten Scheinreferenden zur Annexion ostukrainischer Gebiete
– für die russische Seite Verhandlungen die attraktivere Option im Gegensatz zur Fortsetzung des Krieges werden sollen.
Schwerwiegender, jedoch in Wagenknechts Rede nicht Thema, sind Verwerfungen auf fossilen Energiemärkten, da
die deutsche und europäische Öl- und Gasnachfrage vom bisherigen Lieferanten Russland preistreibend auf den arabischen und asiatischen Raum umgelenkt wird. Mit dieser können ärmere Länder schlecht mithalten, die zugleich mangels Infrastruktur ihrerseits nicht
auf russisches Gas und Öl umsteigen können.10 Wagenknechts Spitze gegen Robert Habeck und die Bundesregierung vernachlässigt auch die Selbstkritik, der sich weite Teile der Politik und Gesellschaft im Lichte der jüngsten Ereignisse unterziehen. Denn für die Energieversorgung so stark auf russisches Gas gesetzt zu haben, erscheint rückblickend fragwürdig nicht nur durch die
Brille marktwirtschaftlicher Diversifizierungsgebote, die gerade Wagenknecht als »linke Ordoliberale« eigentlich beherzigen müsste, sondern erst recht in geopolitischer Hinsicht. Zweitens sind etwaige Spekulationen,
mit Wagenknechts Rede werde eine organisatorische Spaltung der LINKEN vorbereitet, mit großer Skepsis zu bewerten. Nach dem kläglichen Scheitern von »Aufstehen« dürften Wagenknechts geringe Neigungen zur kollektiven, politisch-organisatorischen Arbeit abseits der Bühnen, Talkshow-Sessel und Rednerpulte kaum gewachsen sein. Doch selbst, wenn der abspaltende Sprung von der LINKEN erfolgte, wäre ihm
ziemlich sicher kein dauerhafter Erfolg beschieden. DIE LINKE leidet strukturell daran, dass sie aus einer Abwehrkoalition entstand gegen einen neoliberalen Block, der so schon lange nicht mehr existiert.

Eine Wagenknecht-Partei jedoch würde von noch viel weniger politischer Substanz zusammengehalten.
Wagenknechts Rede findet Anklang aus zwei Motiven, die sozial unterschiedliche Träger haben und als Antrieb für ein dauerhaftes Bündnis nicht hinreichen. Wagenknecht fliegt Zustimmung zu aus der gewachsenen Trägerschaft einer verfestigten und schnell abrufbaren Renitenz gegen »die da oben«. Sie ist die Kehrseite des Merkelismus, nämlich der Impuls, von der Politik im Grunde in Ruhe gelassen werden zu
wollen. Dieser tendenziell unpolitische Alltagsverstand fühlt sich angesprochen durch Wagenknechts Deutungsangebot,
wonach es im Grunde im Lichte weithin geteilter Wertvorstellungen und gesellschaftlicher Prioritäten die eine richtige
politische Option gäbe, die auszuschlagen nur Ausdruck von Verkommenheit, Korruption oder Dummheit des politischen Personals sein könne. Zum anderen sind dies die Menschen, die aufgrund der nahenden oder schon erfahrenen Energiepreisschocks in Ungewissheit und Angst um ihre private, berufliche oder betriebliche Existenz sind und aus ihrer Sorge und Verzweiflung heraus jene Zustimmung zu den Sanktionen gegen Russland aufkündigen, die ihre Gewerkschaften, Handelskammern,
Fach- und Unternehmensverbände öffentlich bislang nicht infrage stellen.
Hier hoffen Anhänger*innen Wagenknechts vielleicht eine bislang »schweigende« bzw. öffentlich noch unterrepräsentierte Gruppe politisch mobilisieren zu können. Allerdings kann diese Klientel sich mehr davon versprechen, die
Position der Regierenden ohne Umweg über eine Gallionsfigur wie Wagenknecht zu verändern, die in der politischen Elite weithin isoliert bleibt.

Drittens schließlich ist an Wagenknechts Zuspitzung kritikwürdig, dass
sie Sozialproteste, wie sie andernorts in Europa bereits stattfinden und dort auch von Gewerkschaften und anderen
Großorganisationen getragen werden, eher behindert als befördert. Für relevante Sozialproteste müssen Gewerkschaften, Sozialverbände und soziale Bewegungen gewonnen werden, von denen viele trotz der dramatischen Lage noch wie gelähmt erscheinen.
Durch die Zuspitzung auf die Sanktionsfrage jedoch wird das Protestpotenzial von vornherein gespalten und neutralisiert. Auch heute füllt Wagenknecht wieder ein Vakuum, das Rätsel aufgibt. Durch die Nebenfolgen des Kriegs gegen die Ukraine trifft Deutschland ein
ökonomischer Schock in einem Umfang, von dem das Land in allen vorherigen Krisenzyklen seit der Jahrtausendwende
verschont wurde.
Wie kann es sein, dass
selbst in dieser Konstellation eine massenwirksame linke Ansprache fehlt?

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