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Rio Raiser - im Malzhaus - 24. Mai 1996
"Last Show"

Rio weltweit - sein letztes Konzert auf Erden
Vor zehn Jahren starb Rio Reiser - am 24. Mai 1996 stand er zum letzten Mal auf der Bühne
Von Lutz Kerschowski 19.08.2006
Wir kamen von Halle. Der Abend in der »Easy Schorre« war eher durchwachsen, was aber offenbar nicht an der Band, sondern am »Easy« lag. Denn als dieses Wort noch im Namen fehlte, kamen andere Leute in die »Schorre«, für die wir ein Zusatzkonzert geben mussten, bei dem die Techniker vor der Bühne armdicke Seile spannten. Aber auch die Fahrten im Bandbus waren anstrengender geworden, seitdem die Autobahn viel weniger Schlaglöcher, dafür aber viel mehr Autos hatte. Was soll's, wir vertrieben uns die Zeit wie üblich: Rio und ich versuchten, den Trommler General Pjotr Michailow in den »Willie-Club« aufzunehmen. Mischka, der Klavierspieler, las im neuen Umberto Eco, und Bassist Holli Wagner kraulte Rios tibetanischen Tempelterrier Alpha, bei dem man nie so genau wusste, wo vorne und hinten ist.
Es konnte also nur besser werden. Und es kam besser. Im Tourplan stand: »Plauen im Vogtland liegt an der Weißen Elster. Markant ist die spätgotische Kirche St. Johannis.« Was uns aber erst mal mehr beeindruckte, war das Hotel »Alexandra« in der Bahnhofstraße. Schon die Zimmer waren okay, aber mit einem gläsernen Fahrstuhl konnte man ins Paradies fahren: Im Keller gab es nicht nur Solarium, Sauna und Whirlpool, sondern auch eine Felsengrotte mit einem beleuchteten Wasserfall.
Genau das brauchten wir auch, denn diese Tour war nicht ohne. Sie war deutlich anders organisiert als vorher mit uns abgesprochen. Und wenn man darüber nachdenkt, warum Rio Reiser ausgerechnet in Plauen sein letztes Konzert auf diesem Planeten gab, sollte man etwas über die Organisation dieser letzten Tour wissen, die ihm völlig gegen den Strich ging und ihn regelrecht krank machte. Werfen wir also ein Blitzlicht hinter die Kulissen: Schon im Januar 1996 hatte mich Rio angerufen und gesagt, dass er doch wieder eine Tournee plane, und ob ich ihm bei der Vorbereitung helfen würde - Band und Techniker zusammentrommeln, Songs auswählen, Proben vorbereiten usw. Ein paar Tage später saßen wir bei mir in Pankow und schrieben bei einer Tasse Tee auf ein weißes Blatt: Club-Tour / ruhiges Programm / kleine Band / überschaubares Team / nach drei Konzerten ein freier Tag / kurze Anfahrtswege etc. Und jetzt, ein paar Monate später, saßen wir mittendrin und waren vom Tour-Manager verarscht worden. Nicht nur, dass er einen Tross von zusätzlichen Vor- und Nachbands aus seinem Büro mit angeschleppt hatte, die niemand wirklich brauchte und die sich teilweise aufführten, als wäre es ihre Tour. Noch kraftraubender war die Tatsache, dass der letzte »day off« neun Tage zurück lag - und mit der Neun soll man bekanntlich nicht scherzen, denn sie ist eine magische Zahl.
Am nächsten Tag sollten wir die Berliner Open-Air-Saison eröffnen, eine Aussicht, die durch die 350 km Autobahn dazwischen etwas getrübt wurde. Wir lehnten die vom Management geplante Nachtfahrt ab, waren wir doch noch gerädert von den 500 km zwischen Jena und Hamburg ein paar Nächte vorher... So hockten wir also wie die Höhlenmenschen in dieser herrlich beleuchteten Wasserfall-Grotte und dachten: Das hätte man sicher auch anders organisieren können - wenn man gewollt hätte. Zwei Drittel der Tour waren geschafft, Plauen war das sechzehnte von 24 geplanten Konzerten. Aber Rio, der sich bei jedem Konzert verausgabte, als wenn es sein letztes wäre, war angeschlagen. Als Sänger konnte er zwar »röhren wie ein Hirsch«, aber körperlich war er eher »zart wie ein Reh«. Wie sollte er das durchstehen? Er konnte es nicht durchstehen. Am nächsten Abend war er nicht mehr fähig, eine Bühne zu betreten.

Von Plauen nach Berlin
Tags darauf hangelten wir uns auf der Autobahn von einer Baustelle zum nächsten Stau und waren pünktlich zum Berufsverkehr in Berlin. Rio setzten wir im Hotel ab, damit wenigstens er sich etwas frisch machen konnte, wir mußten sofort zum Soundcheck. Als die ersten Besucher eintrudelten, hatte ich die erste ruhige Minute, stand hinter der Bühne und sah zu. Plötzlich stürmte der Tourmanager mit dem Handy am Ohr auf mich zu: »Rio sagt, er kann nicht kommen... Du musst mit ihm reden, oder fahr am besten hin und hol ihn ab! Ich versuche so lange, die Leute zu beruhigen...« Ich nahm den Hörer und sagte zu Rio: »Wenn es Dir nicht gut geht, bleib liegen, ich bin gleich da.« Ich hatte ihn schon ausgebrannt und fertig erlebt, aber wie er da auf dem Bett lag, blass und kaum in der Lage, einen Arm zu heben, reichte ein Blick: An diesem Abend würde es kein Konzert mehr geben. Rio sah mich mit großen Augen an und sagte: »Jetzt bist Du bestimmt enttäuscht und sauer.« Ich setzte mich zu ihm auf's Bett und versuchte, ihn zu beruhigen: »Mach Dir keine Sorgen, die große Aufregung wird schnell vergessen sein, Deine Gesundheit ist wichtiger, wir können auch die ganze Tour abbrechen ...«
Er wollte am nächsten Tag wieder okay sein, um die restlichen Auftritte durchzuziehen. Eine Stunde redeten wir noch über Gott und die Welt, dann fuhr ich zurück. An diesen Abend blieben alle zusammen - die beunruhigte Band, Techniker und Freunde, zuerst bei mir zuhause, später zogen wir noch los, und irgendwann kippte die trübe Stimmung ins leicht Abgedrehte und alle waren wieder guter Dinge. Aber Rio hatte sich überschätzt. Nachdem ich am nächsten Morgen in seinem Zimmer war, kümmerten wir uns zuerst um einen Arzt, dann rief ich den Tourmanager an, um die restlichen Auftritte abzusagen - er kam nicht mal ins Hotel, um nach Rio zu sehen.

»S is eben so«
In der Felsengrotte des Plauener Hotels ahnten wir natürlich von all dem noch nichts. Und als wir zum »Malzhaus« rüber gingen, konnte keiner von uns wissen, dass wir an diesem Abend das letzte Konzert geben würden. Die Nachmittagssonne war raus gekommen, die Cafés füllten sich, und nach dem Soundcheck setzten wir uns irgendwo dazu und plauderten. Rio erzählte von seinen Plänen. Der Plattenvertrag mit Sony war endlich ausgelaufen, die nächste Platte wollte er wieder für die »David Volksmund Produktion« aufnehmen, seiner »Hausfirma«, bei der auch alle Platten von »Ton Steine Scherben« erschienen waren. Und schon im Herbst sollte, trotz der aktuellen Querelen, wieder eine Tour folgen - natürlich mit anderem Management und ohne Vor- und Nachbands. Mit dem Rest der Crew fühlte sich Rio aber sichtlich wohl.
Langsam wurde es kühl und wir gingen hinter die Bühne. Sie war im Hof des Malzhauses aufgebaut, und über die Köpfe hinweg sahen wir ins Schwarze Holz und zum Galgenberg rüber. Als wir später am Abend »S'is eben so« spielten, kam ich mir vor wie der Lautenspieler einer Bauernkriegskapelle. Ich hatte nichts zu mir genommen, aber manchmal hat man eben das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und an diesem Abend des 24. Mai 1996 im Malzhaus ging uns das so. Und weil es Rios letztes Konzert war, will ich hier ruhig noch einmal alle Songs aufzählen, die wir gespielt haben: Erdbeben / Zwischen Null und Zero / Über Nacht / Sklavenhändler / Mole Hill Rockers / Nimm den Hammer / Samstagnachmittag / Dr. Sommer / Übers Meer / S'is eben so / Im Süden / Träume / Wann / Der Sommer kommt / Sonnenallee / Lass uns 'n Wunder sein / Sternchen / Ich will ich sein / Wohin gehn wir / Alles Lüge / Ich komm nicht mehr nach Haus / König von Deutschland / Junimond.
Bei jedem Titel höre ich seine Stimme und fühle, wie er mir fehlt. Aber Rio wäre nicht Rio, wenn es zum Schluss nicht noch etwas zum Schmunzeln gegeben hätte. Als wir den letzten Ton gespielt hatten und hinter die Bühne gingen (nur noch der kambodschanische Cellist Sonny Thet war mit dem lyrischen Nachspiel beschäftigt), trat jemand ans Mikrofon und sagte: »Es tut uns sehr leid, aber wegen einer Bombendrohung müssen wir die Veranstaltung leider abbrechen. Bitte verlassen Sie den Innenhof und folgen Sie den Anweisungen der Polizei.« Es war kein Scherz - offenbar hatte unser Krach einen müden Bürger im Schlaf gestört, der sich nicht anders zu helfen wusste. So kam es, daß Rios letztes Konzert auf Erden in einem fröhlichen Chaos endete: Glückliche Fans sangen Arm in Arm »Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da ...«, während Dutzende freundlicher Polizistinnen und Polizisten versuchten, sie sanft aus dem Hoftor zu schieben, um ihnen das Leben zu retten, und eine Spezialtruppe mit Hunden unter der Bühne rumkroch, um die Bombe zu finden. Ich saß derweil mit Rio bei Kerzenlicht hinter der Bühne. Wir schwiegen, tranken und warteten. Dann sah mich Rio an und fragte: »Na und? Wie fandest Du's?« Ich sagte: »Einfach wunderbar!« Darauf grinste er in seiner unnachahmlichen Art und flüsterte: »Wir waren heute weltweit.«

Rio Reiser starb heute vor zehn Jahren am 20. August 1996. Der DDR-Rockmusiker Lutz Kerschowski lernte ihn 1988 bei gemeinsamen Konzerten in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle kennen. Im darauf folgenden Jahr holte Rio ihn als Gitarristen in seine Band. Nach Rio Reisers Tod baute Kerschowski auf Wunsch der Familie das Rio Reiser Archiv auf und betreut seit etwa zwei Jahren auch das Tonarchiv von »Ton Steine Scherben«. Das aktuelle Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist die 13-CD-Box »TON STEINE SCHERBEN - Gesamtwerk« Die Box erscheint auf dem bandeigenen Label »David Volksmund Produktion«, das bereits 1970 gegründet wurde und das erste unabhängige Label Deutschlands war.

https://www.linke-aktivisten-vogtland.de/wiki:malzhaus-plauen



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