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Verrückt nach rechts: Die Republik nach Bayern und Hessen von Albrecht von Lucke

Verrückt nach rechts: Die Republik nach Bayern und Hessen von Albrecht von Lucke

31.10.2023 18:02

https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/nov...yern-und-hessen

Wohl selten standen deutsche Landtagswahlen so sehr im Schatten weltpolitischer Ereignisse wie jene in Bayern und Hessen am 8. Oktober. Dennoch blieben die Wahlergebnisse weitgehend unberührt vom brutalen Überfall der Hamas auf Israel einen Tag zuvor. Faktisch zählte allein die innenpolitische Lage, und zwar in beiden Fällen nicht primär die Landes-, sondern vor allem die Bundespolitik. Und da fast jeder vierte Bundesbürger zur Stimmabgabe aufgerufen war, sprachen manche Beobachter sogar von kleinen Midterm elections.











Tatsächlich stehen die Ergebnisse für einen masssiven bundesweiten Trend. Klare Verlierer sind nach herben Einbußen die Ampel-Parteien. In Bayern kommen sie zusammen nur noch auf 25,8 Prozent[1] und im lange Zeit „roten Hessen“ auch nur noch auf 34,9[2] – fast exakt das Ergebnis des Wahlsiegers CDU (34,6). Von einem bloßen „Denkzettel“ für die desaströse Performance der Ampel zu sprechen, geht daher an der Dimension der Niederlage vorbei. Das Land ist nach rechts verrückt, ja mehr noch: Die Ergebnisse stehen für eine fundamentale Rechtsverschiebung. Diese macht längst nicht bei der Union Halt, sondern geht über CDU und CSU hinaus – in Richtung einer schwarz-blau-braunen Republik. Während die CSU in Bayern auf für sie niedrigem Niveau stagniert, erreichen dort rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien über 30 Prozent.[3] Von der einstigen Brandmauer der CSU gegen rechts („Rechts von uns ist nur noch die Wand“, Franz Josef Strauß) kann folglich nicht mehr die Rede sein. Vielmehr schrumpft die Söder-CSU mit 37 Prozent immer mehr der CDU entgegen.

Zugleich aber erringt in Bayern das gesamte Lager rechts der Mitte zwei Drittel aller Stimmen. Zudem beweisen die 18,4 Prozent der AfD in Hessen – ihr bisher bestes Ergebnis in Westdeutschland –, dass die Rechtspartei definitiv kein Sonderfall des Ostens ist. Im Gegenteil: Die AfD als künftig zweitstärkste Partei im Wiesbadener Landtag steht für inzwischen schon fast ostdeutsche Verhältnisse auch im Westen. Damit werden die Rechtsradikalen nun in Hessen wie in Bayern die Opposition anführen und damit über das Recht der ersten Replik auf die Erklärungen der Regierung verfügen – ein weiterer Schritt in Richtung der von ihnen angestrebten „Normalisierung“. Die Rechtsverschiebung unseres Parteiensystems ist damit auch im Westen der Republik voll angekommen. Hält dieser Trend unvermindert an, werden wir es spätestens nach der Bundestagswahl 2025 mit einer grundlegend anderen politischen Landschaft zu tun bekommen..

Wie sehr sich das Land in den vergangenen Jahren verändert hat, demonstriert vor allem der Rückblick. Vor exakt einem Vierteljahrhundert, am 27. Oktober 1998, wurde die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder gewählt, mit satten 351 Ja-Stimmen gegen 287 mal Nein bei 27 Enthaltungen.[4] Damals konnte man tatsächlich – und zum zweiten Mal nach der sozial-liberalen Ära Brandt/Schmidt von 1969 bis 1982 – von einer politischen wie kulturell-gesellschaftlichen Deutungshoheit der Linksliberalen im Lande sprechen.

An der parteipolitisch hegemonialen Lage änderte sich auch nichts nach der großen Zäsur für die SPD, dem Abgang Oskar Lafontaines. Im Gegenteil: Die im Gefolge der Agenda 2010 aufkommende Wut tendierte eindeutig nach links und bescherte der PDS bei der Bundestagswahl 2005 ein Rekordergebnis von 8,7 Prozent und den Wiedereinzug als Fraktion ins Parlament. Nach der Fusion von PDS und WASG kam die neugegründete Linkspartei 2009 sogar auf 11,9 Prozent. 2005 wie auch 2013 (als FDP und AfD den Einzug in den Bundestag verpassten) verfügte Rot-rot-grün über die Mehrheit im Lande, die nur aufgrund der fatalen Spaltung der Linken nicht zum Tragen kam: 2005 war es die Unverträglichkeit von SPD und PDS und 2013 die von Schröder-SPD und Lafontaines Linker, die eine Koalition verhinderte und so die endlose Merkel- und GroKo-Ära begründete. Heute dagegen kommt Rot-rot-grün nicht einmal in die Nähe der Macht. Von einer angeblich „rot-grün-versifften Republik“ (Ex-AfD-Chef Jörg Meuthen) kann keine Rede sein. Wut und Protest haben die Seite gewechselt. Heute kommen sie – trotz Fridays for Future und Letzter Generation – vor allem von rechts.

Nichts zeigt die Rechtsverschiebung deutlicher als der Niedergang der Linkspartei bei gleichzeitigem Erstarken der AfD (und einer immer wahrscheinlicheren national-populistischen Wagenknecht-Partei). Lange Zeit war Die Linke, und vormals die PDS, das Ventil der Unzufriedenen. Heute hat, gerade auch in der Arbeiterschaft, die AfD diese Rolle übernommen. In Hessen verliert die Linkspartei nun ihre letzten Landtagsmandate im Westen außerhalb der Stadtstaaten und schrumpft damit wieder zu der Ost-Partei, die die PDS vor Hartz IV schon einmal war. Derweil setzt die AfD ihren nationalen Höhenflug scheinbar ungebremst fort.

Kurzum: Binnen eines Vierteljahrhunderts hat sich der Wind um 180 Grad gedreht. Gab es in den 2000er Jahren noch eine linksliberale politische Dominanz, ist das Land in den 2010er Jahren scharf nach rechts abgebogen. Mit der Sarrazin-Debatte („Deutschland schafft sich ab“, 2010) und der Gründung von AfD (2013) und Pegida (2014) war der Boden bereitet, den die Rechtsextremen heute so erfolgreich beackern.

Migration als AfD-Gewinnerthema
Was aber wäre gegen diese so fatale Entwicklung zu tun?

Eine entscheidende Rolle beim Aufstieg der AfD spielt zweifellos die Migrationsfrage, von der großen Flucht 2015 bis zu den jüngsten Landtagswahlen. Zugleich sind diese Wahlen ein Lehrstück darüber, wie man die Rechten regelrecht stark machen kann. Getreu der Devise: Alle spielen für die AfD. Obwohl die Kommunen seit Langem über Überlastung klagten, gelang es der Bundes- wie Landespolitik, das Migrationsthema über Monate „erfolgreich“ zu verdrängen, um es dann kurz vor den Wahlen zu dem entscheidenden Thema zu machen – und so der AfD die Wählerinnen und Wähler regelrecht zuzutreiben. Denn nur auf dem Feld der Migration wird den Rechtspopulisten eine besondere politische Kompetenz zugeschrieben. Eine besonders fatale Rolle spielte dabei – wieder einmal – der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz. Indem er in einer Talk-Runde klagte, dass abgelehnte Asylbewerber sich in Deutschland die Zähne neu machen ließen, während Deutsche keine Zahnarzttermine bekämen, bediente er im besten Fake-news-Stil die Narrative der AfD.

Genauso fatal – und in der Sache beispiellos – war es seitens der FDP, den eigenen Koalitionspartner, nämlich die Grünen, als „Sicherheitsrisiko“ (Generalsekretär Bijan Djir-Sarai) zu bezeichnen und so den ohnehin vorhandenen Eindruck einer handlungsunfähigen Regierung weiter zu verstärken. Die Konsequenz: Die Angst vor immer mehr Migrantinnen und Migranten sowie vor einem Scheitern der Integration schoss vor der Wahl regelrecht in die Höhe, genau wie die Wahlergebnisse der AfD. Am Ende gelang es der AfD dank ihrer Konkurrenten, sich als die eigentliche Garantin der Einhaltung von Recht und Gesetz zu präsentieren – der bisher vielleicht größte Erfolg dieser Partei.[5]

Nach dem Schock von Hessen und Bayern haben die Parteien immerhin erkannt, dass es darauf ankommt, in der Migrationsfrage gemeinsam zu handeln und für mehr Steuerung, Kontrolle und auch Begrenzung zu sorgen. Fatal ist es jedoch, wenn sie dabei als Getriebene der AfD agieren. Wer wie die Union in dieser hoch-komplexen Materie einfache „Lösungen“ verspricht, insbesondere die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl oder die Einführung einer Obergrenze, bedient das Narrativ der AfD und spielt ihr damit in die Hände.

So ist es auch regelrecht naiv, zu glauben, dass die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen die Zahl der Migranten nennenswert verringern wird. Nicht deutsche Sozialleistungen sind der entscheidende Grund für die tausendfache Flucht, sondern die Tatsache, dass in vielen Teilen der Welt ein lebenswertes Leben kaum mehr möglich ist und dass Europa und speziell das wohlhabende und rechtstaatliche Deutschland für Millionen von Menschen als eine Insel der Seligen erscheinen müssen. Diese Pull-Faktoren sind schlicht nicht zu beseitigen. Insofern kommt es immer auch auf rasche Integration der Geflüchteten und ihre Einbindung in den Arbeitsmarkt an.

Selbst wenn nun tatsächlich, im Zuge der erforderlichen europäischen Regelung, schnellere Asylverfahren an den Grenzen Europas erfolgen werden, wird dies das Flucht-Problem nicht grundsätzlich beenden. Vielmehr lautet die erste entscheidende Frage, ob es tatsächlich zu den geplanten Rücknahme-Abkommen mit afrikanischen Staaten kommt. Andernfalls droht die bald mögliche Internierung zu genau jener „Placebo-Reform, die keine Probleme löst“, zu werden, vor der Migrationsforscher Gerald Knaus schon lange warnt. Denn ohne die zweite wichtige Komponente jeder wirklichen Lösung, nämlich eine europaweite Verteilungsregelung, dürfte sich Italien schon bald erneut überfordert zeigen.

In der Weltordnungskrise
Insofern ist es eine Illusion, anzunehmen, das AfD-Problem ließe sich wie in den 1990er Jahren regeln, als mit der Asylrechtsänderung von 1993 und der Dublin-Verordnung auch das Hoch der rechten Republikaner endete. Zum einen zeigt sich heute, speziell in Italien, gerade das Versagen des ungerechten Dublin-Systems, wonach für einen Geflüchteten jeweils der Staat verantwortlich sein soll, in dem dieser erstmals EU-Boden betritt. Zum anderen aber verkennt der Vergleich, wie fundamental sich die Welt seither verändert hat.

Die 1990er Jahre waren anfangs, vor allem im Osten, zwar Jahre des Umbruchs und der Verunsicherung, aber ansonsten vor allem ein Jahrzehnt der Hoffnung auf eine Friedens-, Demokratie- und nachhaltige Wohlstandsdividende, mit dem Rio-Gipfel für Umwelt und Entwicklung (des globalen Südens) von 1992 als frühem Höhepunkt.

30 Jahre später leben wir in einer Welt weit größerer, völlig ungelöster Probleme, von der Klimakrise über zahlreiche Kriege, ob in der Ukraine oder Gaza, bis hin zu dadurch ausgelösten massiven Fluchtbewegungen. Innerhalb dieser Weltordnungskrise ist die Migration ein Jahrhundertthema, das der AfD immer wieder neue Wählerinnen und Wähler zuspielen wird. Zugleich verfügt der Rechtspopulismus längst auch über andere Themen – etwa den Umgang mit der Klimakrise –, um die Bevölkerung permanent zu ängstigen und so Wut und Ressentiment anzuheizen. Insofern ist der Zug nach rechts eine europäische, ja sogar globale Entwicklung, von Skandinavien über Italien und Frankreich bis in die Vereinigten Staaten. Selbst wenn die Migration an ein Ende käme, was völlig ausgeschlossen ist, gälte das somit nicht für den Rechtsradikalismus.

Worauf es in dieser fatalen Lage ankommt, ist der Mut zur Ehrlichkeit. Für die großen globalen Fragen gibt es keine einfachen Lösungen, auf keinem der großen politischen Felder. Den Mut, dies einzugestehen, und damit auch die Grenzen der eigenen Möglichkeiten, muss die Politik aufbringen, gerade gegen die AfD als die Partei der einfachen Antworten. Das von der Rechten suggerierte „Weiter-so“ in Frieden und Wohlstand durch eine Politik der Abschottung wird es nicht geben. Zugleich müssen die Parteien inhaltlich gegen die AfD vorgehen. Dabei ist, wie die Thüringer Erfahrungen belegen, eine gemeinsame, gar Einheitsfront gegen die AfD die falsche Antwort.[6] Worauf es dagegen ankommt, ist, dass jeder auf seinem Terrain die Rechten stellt – die linken Parteien an der nicht vorhandenen Sozialpolitik der AfD, und die konservativen an deren fataler Putin-Freundschaft und dem Willen zum Ausstieg aus EU und transatlantischer Partnerschaft.

Eine besondere Verantwortung trägt bei alledem die Ampel: Versagt die Regierung weiter, droht auch die AfD weiter zu wachsen. Dann wird eines Tages unweigerlich die Frage aufkommen, ob man dem nicht auch politisch Rechnung tragen, sprich: mit der AfD koalieren muss. Getreu der alten Devise: Lasst die doch jetzt mal ran, wenn ihr anderen nur versagt!

Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey für den „Spiegel“ fänden es bereits jetzt 47 Prozent der Deutschen akzeptabel, wenn die AfD an Regierungen auf Landesebene beteiligt wäre.[7] Die Brandmauer gegen die AfD in der Bevölkerung ist also bereits zur Hälfte eingebrochen. Im Osten liegt die Zustimmung zu einer Regierungsbeteiligung der AfD sogar bei 55 Prozent. Dort könnte es bereits in knapp einem Jahr zum Schwur kommen, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo die AfD in den Umfragen derzeit klar stärkste Partei ist.

Um deutlich zu machen, welche Gefahr eine Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen bedeutet, muss man nicht einmal an das fatale Scheitern der Weimarer Republik erinnern. Es reicht vollends aus, auf die Lage in Österreich zu verweisen. Dort hat der Versuch, die FPÖ durch Regierungsbeteiligung zu entzaubern, nur dazu geführt, dass sie jetzt die stärkste Partei und zugleich noch radikaler als früher ist.

All das zeigt: Es kommt alles darauf an, der rechtspopulistischen Regierungsversuchung zu wehren, durch gute Regierungsarbeit und konstruktive Opposition – und zugleich durch die permanente Aufklärung darüber, dass Höcke und Co. letztlich eine radikal andere Republik anstreben. Das unbeirrbar zu tun, ist die gemeinsame Verantwortung aller demokratisch orientierten Parteien wie auch der Zivilgesellschaft in dieser so kritischen Lage.

[1] Ampel-Ergebnisse in Bayern: Grüne 14,4, SPD 8,4, FDP 3 Prozent.

[2] Ampel-Ergebnisse in Hessen: SPD 15,1, Grüne 14,8, FDP 5 Prozent.

[3] Freie Wähler 15,8; AfD 14,6 Prozent.

[4] Albrecht von Lucke, 68er an der Macht, in„Blätter“, 11/1998, S. 1331-1338.

[5] Die Folge war eine zuvor für unmöglich gehaltene Wählerwanderung von Grünen zur AfD.

[6] Siehe zur Lage in Thüringen den Beitrag von Peter Reif-Spirek in dieser Ausgabe.

[7] Spiegel.de, 13.10.2023. (Die Forschungsgruppe Wahlen kommt zu etwas niedrigeren Werten.)

Themen: Innenpolitik, Rechtsradikalismus, Konservatismus
Aus: »Blätter« 11/2023, S. 9-12

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  • Erstellt von max hoelz In der Kategorie Gesellschaft am 31.10.2023 18:02:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 31.10.2023 18:02
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