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SAHRA WAGENKNECHTS PROJEKT BRD noir

SAHRA WAGENKNECHTS PROJEKT BRD noir

20.09.2023 15:15

Sahra Wagenknechts Biographie zeigt, wie man aufsteigen kann, indem man Gegenpositionen bezieht. Sie macht ein Angebot, das es in der Politik nicht gibt. Kann ihre Parteigründung gelingen?
Von Oliver Nachtwey

Oliver Nachtwey ist Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel. Gemeinsam mit Carolin Amlinger veröffentlichte er das Buch „Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus“ (Suhrkamp).


Und bald humpelt sie noch“ – diese Sottise soll der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky in den Neunzigerjahren über Sahra Wagenknecht geäußert haben, die als bekannteste bekennende Kommunistin viel Aufmerksamkeit in und außerhalb der PDS erhielt. Bisky spielte auf Rosa Luxemburg an, die aufgrund einer Behinderung den Fuß nachzog. Auch Wagenknechts Kleidungsstil, früher häufig Spitzenblusen, und ihre Frisur ähnelten dem öffentlichen Bild der bekanntesten deutschen Sozialistin markant. Wie Luxemburg war Wagenknecht eloquent, scharfsinnig – und lag eigentlich immer im Streit mit der Parteiführung. Biskys Anspielung zielte aber nicht nur auf Wagenknechts politische Positionen, sondern auf ihren damals schon vorhandenen Sinn für eine ästhetisch-politische Inszenierung. Sie war von Beginn an auch eine Marke, die sie erfolgreich verwertete: Schon 2002 hat sie im Bundestagswahlkampf für ihre Auftritte ein Honorar von der Partei verlangt.

Sahra Wagenknecht ist ihrem Wesen nach eine contrarian. Als in der DDR eine demokratische Revolution ausbricht, tritt sie 1989 in die SED ein. Die politische Revolution in Ostdeutschland als Emanzipation von Herrschaft lässt sie kalt, für sie ist es eine „Konterrevolution“. Dass der kapitalistische Westen nun selbst in Ostdeutschland Industrie, Biographien und Lebensbedingungen zerstört, kritisiert sie präzise wie kaum jemand anderes, als bekanntestes Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS liebt sie aber auch die Rolle der unapologetischen Stalinistin. Sie bewundert die „beeindruckende Modernisierungspolitik“ Stalins. Die DDR bezeichnet sie als das „menschenfreundlichste Gemeinwesen“ in der deutschen Geschichte. Als die PDS 2002 erklärte, dass „keine Rechtfertigung für die Toten an der Mauer“ existiere, gab es eine Gegenstimme im Parteivorstand: Sahra Wagenknecht.

In den Neunzigerjahren bewunderte Wagenknecht noch das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ von Walter Ulbricht. Mit der Finanzkrise von 2008 an beginnt ihre wirtschaftspolitische Metamorphose. Sie erregt nun Aufmerksamkeit als begabte Kritikerin des Gegenwartskapitalismus – über die Parteigrenzen hinaus. Die DDR-Nostalgie wird sukzessive ersetzt durch eine BRD-Nostalgie des Goldenen Zeitalters des Kapitalismus. Im Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ (2012) präsentiert sie sich als Anhängerin einer progressiven sozialen Marktwirtschaft. Sie spricht zwar noch von einem „kreativen Sozialismus“, ihre Ordnungsvorstellungen entlehnt sie jedoch den Denkern des deutschen Ordoliberalismus: Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard. Am Ordoliberalismus schätzt sie im Grunde die gleichen Eigenschaften wie an Ulbrichts Wirtschaftspolitik, der sie bescheinigte, „eine hochproduktive Wirtschaft vermittels Leistungsstimulierung bei gleichzeitiger sozialer Absicherung“ zu gewährleisten. In ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ (2016) kommt das Wort Sozialismus nicht mehr vor. Am Kapitalismus kritisiert sie die semifeudale Herrschaft der Großkonzerne, die Leistung, Innovation und (echten) Wettbewerb verhindere. Sie ist näher an Joseph Schumpeter als an Karl Marx. Sie adressiert weniger Arbeiter oder Gewerkschafterinnen, sondern Selbständige, Unternehmer, Managerinnen – diejenigen, die in der Bahnhofsbuchhandlung ein Buch kaufen, mit dem sie sich versichern können, dass die da oben es nicht können, und sich selbst ein wenig gebildeter fühlen.

Geschaffen für das Rampenlicht

War Wagenknecht lange eine vielbeachtete Exotin, wird sie mit ihren Büchern und Talkshowauftritten zum Politstar. Sie hat Charisma. Wagenknecht kommt selbst von unten, ist eine Bildungsaufsteigerin. Sie erntet Anerkennung, weil sie ihre Dossiers gut kennt, schlagfertig ist und in Talkrunden gelassen ihre Kontrahenten an die Wand drückt. Sie zelebriert ihre Klassenüberschreitung nach oben, ihren konservativen Habitus. Und pflegt ihr Bild als linke Intellektuelle, die aber die bürgerliche Kultur nicht verachtet, sondern verehrt: Sie hat den ganzen Marx gelesen, konnte Goethes Faust auswendig. Da ist eine Kommunistin, die mehr von der Weimarer Klassik versteht als bürgerliche Notablen. Das macht sie zur idealen Projektion von oben wie von unten: Sie ist Außenseiterin im Establishment, die die Interessen der normalen Leute vertritt. Wenn sie im Fernsehen auftritt, bleiben die Leute dran. Es ist interessant, Wagenknecht spricht über politische Alternativen, wie es in einer politischen Landschaft kaum jemand tut.

Wagenknecht hatte zwar immer Anhänger in der Partei Die Linke und nahm auch wichtige Positionen ein. Berüchtigt war ihre machiavellistische Machtaufteilung mit Dietmar Bartsch als Vorsitzende der Bundestagsfraktion seit 2019. Mit ihm verband sie politisch wenig – außer der Gegnerschaft zu den damaligen Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger. Dennoch bleibt sie eine innerparteiliche Außenseiterin – auch weil sie die Alltagsmühen des Abgeordnetendaseins als Zumutung empfindet. Wenn sie auf Parteiveranstaltungen auftritt, kommt sie zu spät. Einerseits um den großen Auftritt zu haben, aber auch, um mit niemandem reden zu müssen. Am Ende verhalten sich ihre öffentliche und parteiinterne Anerkennung invers zueinander. Nur ihr treuer Anhängerkreis ist ihr geradezu unterwürfig ergeben.

Wagenknecht profiliert sich als innerparteiliche Opposition gegenüber einer „linksliberalen“ Parteiführung, die sich von der sozialen Frage entkoppelt habe. Was richtig ist: Die Linke nimmt Fragen der Klimabewegung auf, und für viele Aktivisten ist Antidiskriminierung wichtig. Dass die Linke sich von der sozialen Frage entfernt hat, ist jedoch eine groteske Verzerrung. Ihre scharfe Kritik an der Parteiführung formulierte Wagenknecht gerne auf den Seiten bekannter arbeiternaher Publikationen wie „Welt“, „Bild“ oder „Cicero“. Im Wahlkampf 2021 ist Wagenknecht die hörbarste Stimme der Linken – der sie vorwirft, für Linke nicht mehr wählbar zu sein. Zugleich ist Wagenknecht habituell von der Arbeiterklasse weiter entfernt als jeder lokale CDU-Politiker, der nicht nur in der Handelskammer, sondern auch bei der Feuerwehr Mitglied ist. Anders als die Linken-Vorsitzende Wissler oder ihr Vorgänger Riexinger hat Wagenknecht auch mit den Gewerkschaften nicht viel am Hut.

Fehlgeschlagener linker Bonapartismus

Schon während der Merkel-Jahre fällt häufiger der Satz, dass Wagenknecht das Zeug zur Kanzlerin hätte. Mit ihrer Partei, das weiß Wagenknecht, wird das auf absehbare Zeit nicht gehen. Dafür muss sie sich von der Partei emanzipieren. Sie gründet „Aufstehen“, eine überparteiliche linke Bewegung, die ein Gefäß für Anti-Establishment-Mobilisierungen sein soll, da die Partei Die Linke – nicht zuletzt durch Wagenknechts Agieren – in einen negativen Strudel geraten ist. Es ist ein Testlauf für eine eigene Parteigründung, ein linker Bonapartismus, und er schlägt dramatisch fehl. Aufstehen scheitert nicht zuletzt an Wagenknecht, die als organisierende Politikerin über nur wenig Talent und auch keine Lust verfügt. Sitzungen, Kompromisse, mediokre Kontrahenten sind ihr ein Graus. Aufstehen, das ein paar Intellektuelle und (Ex-)Politiker aus anderen Parteien anziehen konnte, zerfällt schnell, Wagenknecht erleidet einen Burnout und zieht sich vom Fraktionsvorsitz der Linken zurück.

Das Phänomen Wagenknecht ist Ausdruck einer erweiterten Krise der Repräsentation. Das Ausgangsmomentum der Linkspartei, die Agenda 2010, hat sich verflüchtigt. Reformen der Reform haben ihr die Härte genommen, der Arbeitsmarkt hat sich deutlich verbessert (ohne allerdings den gewachsenen Niedriglohnsektor einzudämmen). Was blieb, war ein allgemeines Gefühl der Verwundbarkeit bis in die Mittelschichten hinein, das weit über die ökonomische Verunsicherung hinausgeht.

Hilflose Mittelschicht

War die Agenda 2010 eine Antwort auf die Frage der Wettbewerbsfähigkeit in einer sich öffnenden Weltwirtschaft, schlitterte der Kapitalismus nach der Finanzkrise in eine Polykrise aus Kriegen, Flüchtlingsströmen, Pandemie und Klima. Die Mittelschicht sieht sich in ihrer Lebensführung bedroht – und die etablierte Politik hilflos.

Wagenknecht hat sich in der Flüchtlingskrise 2015 gegen die ungebremste Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen, da sie die ohnehin prekäre Lebenssituation der Niedriglohnbezieher verschlechtern würde. Das war eine Halbwahrheit, da auf dem Arbeitsmarkt keine Verdrängungskonkurrenz herrschte und das Problem auf dem Wohnungsmarkt vor allem in der staatlichen Wohnungspolitik lag. Aber Wagenknecht entlarvte das autoritäre Moment der Politik der Austerität: Wurden in der Finanzkrise Hilfen für die Banken flüssiggemacht, gab es nun Mittel für die Unterbringung der Flüchtlinge, während es ständig hieß, für den Sozialstaat sei kein Geld da.

Wagenknecht repräsentiert die Entfremdeten, die sich von den ehemaligen Volksparteien nicht mehr vertreten fühlen. Die Volksparteien waren sich immer ähnlicher geworden, wirtschafts- wie gesellschaftspolitisch. Sie waren jetzt alle Mitte, aber die Ränder der Mitte wurden nicht mehr vertreten. Während die AfD den rechten, ja sogar rechtsextremen Rand bedient, hat Wagenknechts Prinzip hier seinen Ort: an den Rändern der Mitte, und zwar beiden gleichzeitig, dem linken wie dem rechten. Wagenknecht nennt ihren politischen Ansatz Linkskonservatismus. Sozialpolitisch progressiv, gesellschaftlich konservativ. Ihre Klammer ist der Anti-Linksliberalismus, zu dem für sie auch Teile der Merkel-CDU mit ihrer Offenheit gegenüber Flüchtlingen gehören. Kern des Anti-Linksliberalismus ist Gegnerschaft gegenüber dem „progressiven Neoliberalismus“, wie die US-Philosophin Nancy Fraser die wirtschaftsfreundliche Diversity-Kultur genannt hat, die man von staatlichen Institutionen bis hin zur Grünen-Partei trifft: Eine Politik der Gleichstellung tritt an die Stelle des Kampfes um materielle Gleichheit. Während der Neoliberalismus die Diversität feiert, setzt Wagenknecht auf die einfache Negation: den Durchschnitt, die Ähnlichkeit, die „Normalität“. Die Gegnerschaft gegenüber dem progressiven Neoliberalismus ist so tief, dass die Kapitalismuskritik bei Wagenknecht mittlerweile in der Regel hintenüberfällt.

Die Außenseiter der Mitte

Linke Parteien wollten mit Lenin immer die Avantgarde des Proletariats, die fortschrittlichsten Arbeiter organisieren. Wagenknecht setzt auf die Anti-Avantgarde, den konservativen Teil, der aufgestiegen ist und nun etwas zu verlieren hat. Sie hat auch hier durchaus einen Punkt. Es ist nicht so, dass die anderen Parteien diese Gruppe nicht ebenfalls im Blick haben, aber niemand wertet sie kulturell so auf wie Wagenknecht, niemand ist stärker darin, ihre dunklen Emotionen auszudrücken: Sie fühlen sich als Außenseiter, obwohl sie doch zur Mitte gehören sollten.

Wagenknecht profitiert von der Hilflosigkeit des Liberalismus angesichts der globalen Vielfachkrise. Sie inszeniert sich als Alternative zur Moral der Besserverdiener in grüner und liberaler Variante. Der rügende Moralismus ist keine reine Erfindung. Aber Wagenknecht reichert legitime Kritik mit Missgunst an. Häufig entsteht eine groteske Projektion, die nicht weit vom rechten Kulturkampf entfernt ist. Deshalb ist ihr Angebot auch für Autoritäre so interessant. Sie versucht Milieus zusammenzubinden, die aus unterschiedlichen Motiven entfremdet von der Demokratie sind: neben konservativen Arbeitern und Mittelschichten Libertär-Autoritäre und Sozialchauvinisten, die zwar für einen Sozialstaat sind, jedoch Migranten als Problem für die Integration betrachten. Sie behauptet sehr erfolgreich, dass die Partei Die Linke die soziale Frage verdrängt habe, ihre eigene Oben-unten-Erzählung wird jedoch immer dünner und plakativer. Die Fragmentierung der Arbeiterklasse, der Niedriglohnsektor, prekäre Beschäftigung – ihre Stellungnahmen hierzu fallen zunehmend knapp aus. Wagenknecht erzeugt das Bild einer Arbeiterklasse nach ihrem Willen und ihrer Vorstellung, das mit der real existierenden Klasse nur wenig gemein hat. Zwar sind ärmere Menschen migrationskritischer als die Mittelschicht, aber insgesamt sind sie viel heterogener und offener gegenüber anderen Lebensformen, als Wagenknecht suggeriert.

Wagenknecht ist eine Populistin im klassischen Sinne: Das Establishment ist korrupt und inkompetent, die Bevölkerung wird nicht repräsentiert. Anders als ihre Anhänger es glauben, handelt es sich aber mitnichten um einen Linkspopulismus, denn dieser setzt auf Partizipation als Antwort auf die Usurpation der Demokratie durch die Eliten. Wagenknechts Ansatz der Ressentimentbewirtschaftung gegen das linksliberale Establishment lässt sich mühelos auf neue politische Felder übertragen. Während der Corona-Pandemie steht sie in der ersten Reihe der Impfkritiker, vor der Verbreitung von Halbwahrheiten scheut sie nicht zurück, ein verschwörungstheoretisches Raunen ist bei ihr und ihrem Umfeld vernehmbar. Ihr Modell ist die personalisierte Opposition. Ihr Populismus funktioniert paradoxerweise genau deshalb, weil sie mittlerweile selbst zum medialen Establishment gehört. Ihre Anhänger identifizieren sich mit ihr in ihrer Nichtidentität. Sie repräsentiert sie, weil sie nicht wie sie ist. Deshalb ist es auch kein Problem, dass Wagenknecht in einer Streikweste auf einer Demonstration wie eine Schauspielerin wirkt, die ins falsche Stück geraten ist.

Keinerlei Mitgefühl?

Wagenknecht ist eine der zentralen Stimmen der Opposition gegen die militärische Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg. Sie artikuliert zentrale Anliegen der traditionellen Friedensbewegung, indem sie sich gegen Waffenlieferungen und Militarismus ausspricht. Gleichwohl: So wie Wagenknecht kühl und ablehnend gegenüber der „Konterrevolution“ in Ostdeutschland war, ist sie auch kalt gegenüber den Opfern in der Ukraine. In ihren Stellungnahmen erscheint der ukrainische Präsident Selen­skyj als der eigentliche Kriegstreiber, weil er nicht aufgeben will. Wagenknechts friedenspolitisches Koordinatensystem ist das alte geblieben. Der russische Angriffskrieg ist für sie nur eine Verteidigungsreaktion auf die Ausdehnung der NATO, Putin hält sie für einen rational kalkulierenden Machtpolitiker, der bloß den Westen in die Schranken weisen möchte. Damit bewegt sie sich auf der Linie der alten westdeutschen Friedensbewegung und der PDS/SED. Vor allem in Ostdeutschland kommt sie damit gut an. Mittlerweile ist sie aber auch der große Star in den verschwörungstheoretischen Netzwerken im Internet.

Programmatisch ist sie jetzt BRD noir. Ihre Wirtschaftspolitik folgt der sozialdemokratischen Adaption des Ordoliberalismus durch Karl Schiller: Korrektur der Marktwirtschaft durch Sozialstaat und keynesianische Wirtschaftspolitik. Den linken Internationalismus hat Wagenknecht vollständig abgelegt: Der national regulierte Sozialstaat, wie er vor der Globalisierung existierte, ist ihr Kernmodell. Deshalb auch ihre Kritik an den kosmopolitischen Eliten und der europäischen Integration. Mit einer Liste Wagenknecht würde eine Partei entstehen, die es so noch nicht gegeben hat: eine Partei, die sich gleichzeitig links und rechts positioniert. Wagenknecht ist damit nicht nur eine Konkurrenz für die AfD, sondern auch für den sozialen Flügel der CDU und den rechten Flügel der SPD. Insofern stellt sie tatsächlich so etwas wie eine Querfront dar: Die Linke wollte historisch Arbeiter, die vom System entfremdet waren, für ihre Sache, den internationalen Sozialismus, gewinnen. Wagenknechts Projekt geht den anderen Weg: der Anpassung, der Adaption an die neue Rechte, in der Hoffnung, dass man dadurch den Weg nach rechts aufhalten könnte. Wagenknecht ist weder eine Rassistin, noch ist sie eine Rechte. Aber das macht es nur schlimmer: In ihrer instrumentellen Affektpolitik legitimiert und bestätigt sie die Diskurse der Rechten. Am Ende wird sie damit die AfD nicht nur weiter normalisieren, sondern sogar stützen.

Wird es nun eine Wagenknecht-Partei geben? Das ist ziemlich sicher, es gibt viele Leute, die das wollen und daran arbeiten. Wagenknecht ist ohnehin etwas Erstaunliches gelungen: Sie hat eine fiktive Politik geschaffen, diese schützt sie vor dem Risiko eines Misserfolgs wie bei Aufstehen.

Wenig Unterstützung

Und doch hat das Desaster der Aufstehen-Bewegung Spuren hinterlassen. Zu viele Hasardeure waren in die Bewegung geströmt, es gab zu wenige Kader, die das Projekt gemeinsam tragen konnten. Wagenknecht war nicht fähig, es organisatorisch zu führen. Deshalb hat sie so lange gezögert. Ihr fehlt auch ein politisches Umfeld, das sie produktiv mitträgt. Zu ihren Unterstützern gehören der WASG-Gründer Klaus Ernst sowie die zurückgetretene Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali. Danach dünnt es sich aber merklich aus. Zu ihren lautesten Anhängern in der Linkspartei gehören nicht unbedingt diejenigen, die als politische Talente gehandelt werden. Natürlich ist ihr Mann Oskar Lafontaine eine wichtige Stütze. Aber Lafontaine ist achtzig Jahre alt, sein letztes Buch hieß „Ami, it’s time to go“, und er raunte an anderer Stelle über eine „unsichtbare Weltregierung“.

Im Orbit von Wagenknecht kreisen zudem einige fragwürdige Gestalten. Sie sind keine direkten Bündnispartner, aber sie übt eine ungeheure Anziehungskraft auf sie aus. Da ist etwa der ehemalige Abgeordnete Dieter Dehm, der eine enge Verbindung mit dem Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen hat. Und da ist ihr Ex-Mann Ralph T. Niemeyer, Kandidat für „Die Basis“ bei der letzten Bundestagswahl und mittlerweile Reichsbürger, der als Vertreter einer selbsternannten deutschen „Exilregierung“ Kontakt zu Russland hält. Auch für den bekannten Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser ist Wagenknecht eine wichtige Referenz – und natürlich für Ulrike Guérot. Mit ihnen kooperiert sie jedoch genauso wenig wie mit Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des rechtsextremen Magazins „Compact“, der sie schon zur nächsten Kanzlerin ausrief. Gleichwohl ist Elsässer ein alter Bekannter, mit ihm veröffentlichte sie 1996 ein Buch über die Aktualität des Kommunismus.

Würde eine Wagenknecht-Partei funktionieren? Sie wäre wohl tatsächlich inter­essant für AfD-Wähler oder für solche, die in der Forschung als „linksautoritär“ gelten – umverteilungsaffin, aber kulturell rechts, einwanderungskritisch und demokratieunzufrieden. Gleichwohl besteht eine große Unsicherheit, es ist keineswegs gesichert, dass sich gute Umfragen in gute Wahlergebnisse übersetzen. Wagenknecht ist zwar bundesweit bekannt, medial omnipräsent, aber der Fokussierung auf eine Person sind Grenzen gesetzt. Die deutsche parlamentarische Demokratie funktioniert anders als die Präsidialsysteme Frankreichs oder der Vereinigten Staaten. Parteien müssen aufgebaut werden, und das ist nicht einfach. Wagenknecht muss zum Beispiel auf Landesebene Wahllisten zusammenstellen. Nur bei einer Europawahl könnte Wagenknecht als Spitzenkandidatin alles überstrahlen. Nur wenn es ihr gelingen sollte, über die Europawahl genug Stimmen, Ressourcen und Wahlkampfkostenerstattung zu erringen, hat sie eine Chance, eine Partei aufzubauen.

Begrenzter Kreis der Funktionäre

Um eine Partei nicht nur in den Umfragen, sondern im politischen System zu etablieren, braucht es Überläufer aus anderen Parteien. Die WASG konnte nur entstehen, weil erfahrene Gewerkschaftsfunktionäre, die wussten, wie man eine Versammlung leitet, Kreisverbände aufbauten. Wagenknechts Partei wird keine Zuflüsse von Aktivisten aus sozialen Bewegungen haben, denn für diese ist sie ein rotes Tuch.

Die AfD konnte auf ein Netz von Professoren und lokalen Honoratioren zurückgreifen. Schon bei Aufstehen war jedoch deutlich, dass der Kreis der Funktionäre begrenzt ist – und auch bleiben wird. Und ein migrationskritisches und diversitätsfeindliches Programm verspricht auf der lokalen Ebene viele rechte Aktivisten anzuziehen. Wer sich von einer Liste Wagenknecht ein Bollwerk gegen die AfD erhofft, wird im schlechtesten Fall bei einem gestärkten rechten Block enden.

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